Kabul. Es war der schlimmste Angriff auf einen Militärstützpunkt in Afghanistan. Bei dem Taliban-Anschlag auf das Hauptquartier der afghanischen Armee bei Masar-i-Scharif im Norden des Landes sind am Freitag 140 Soldaten getötet worden – ursprünglich war von rund 50 Toten die Rede.
Es war der schlimmste Angriff auf einen Militärstützpunkt in Afghanistan. Bei dem Taliban-Anschlag auf das Hauptquartier der afghanischen Armee bei Masar-i-Scharif im Norden des Landes sind am Freitag 140 Soldaten getötet worden – ursprünglich war von rund 50 Toten die Rede.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bekundete der afghanischen Regierung ihr Mitgefühl. „Mit großem Entsetzen habe ich die Nachricht über den hinterlistigen, brutalen Angriff der Taliban auf eine Kaserne Ihrer Streitkräfte im Norden Afghanistans aufgenommen“, schrieb die CDU-Politikerin in einem am Samstag veröffentlichten Kondolenztelegramm an den afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani.
Der Norden von Afghanistan galt vor einigen Jahren noch als relativ sicher. Der Vorstoß der Islamisten stellt den mehr als 300 000 Mann starken Verbänden der Polizei und Streitkräfte Afghanistans ein Armutszeugnis aus. Diese sind nicht einmal dazu in der Lage, einen eigenen Stützpunkt zu schützen. Am Freitag waren zwei Fahrzeuge mit zehn Talibankämpfern in Armeeuniformen seelenruhig durch das erste Eingangstor des Militärcamps nahe dem Flughafen von Masar-i-Scharif gefahren. Sie zeigten den Bewachern einen angeblich Verletzten. Die Gotteskrieger schossen wild um sich und stürmten Richtung Kantine und Moschee der Kaserne. Dort massakrierten sie die überwiegend unbewaffneten Soldaten. Ein Attentäter verschanzte sich im Munitionslager und wurde nach fast fünf Stunden als letzter von einer Spezialeinheit überwältigt.
Rund 7000 afghanische Soldaten sind voriges Jahr getötet worden
Der Vorfall unterstreicht einmal mehr die dramatische Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan. Ende Dezember 2014 waren die meisten Truppen der internationalen ISAF-Mission abgezogen. Als Ersatz vorgesehen war eine 30 000 Mann starke Truppe aus Soldaten des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie der afghanischen Staatssicherheit. Es schien die einzige Einheit des Landes zu sein, die den 30 000 bis 40 000 Talibankämpfern am Hindukusch die Stirn bieten konnte. Immerhin gab es für die afghanischen Streitkräfte – unterstützt durch US-Drohnen und Nato-Berater – in jüngster Zeit einige Erfolge. Mindestens zwei sogenannte Taliban-Schattengouverneure sollen in den vergangenen Wochen getötet worden sein.
Doch hier handelt es sich nur um scheinbare Fortschritte. Die traurige Realität ist: Die Taliban sind in Afghanistan auf breiter Front zurück. Nach einem Bericht der US-Regierung an den Kongress („Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction“) kontrollierte die Regierung in Kabul Anfang des Jahres nur noch 57 Prozent der 407 Distrikte Afghanistans. Ende 2015 hatte Präsident Ghani noch die Oberhoheit über ein 15 Prozent größeres Territorium.
Gleichzeitig sinkt die Kampfmoral der afghanischen Sicherheitskräfte. Diese waren vor dem eiligen Abzug der westlichen Truppen im Eiltempo durch qualitativ fragwürdige Trainingsschnellkurse der Nato geschleust worden. Ein Training, das sich nicht bewährte. Rund 7000 afghanische Soldaten fielen im Jahr 2016, fast 12 000 wurden verwundet.
Im Kampf gegen die Taliban fehlt es am Allernötigsten
Daran kann offenbar auch die Hilfe durch die Bundeswehr nichts ändern. Der Nato-Ausbildungseinsatz „Resolute Support“ (Entschlossene Unterstützung) soll Afghanistan dabei helfen, die Sicherheit im Land selbst zu gewährleisten. Es ist der Nachfolgeeinsatz der ISAF-Mission. Die Bundeswehr stellt von den etwa 12 000 Soldaten des Nato-Einsatzes derzeit 941 Soldaten. Damit bleibt Afghanistan der größte Einsatz der Truppe. Zu der Zeit der heftigsten Kämpfe mit den aufständischen Taliban am Hindukusch waren im Rahmen der ISAF noch 5000 Bundeswehrkräfte in dem Land gewesen. Die deutschen Soldaten beraten die afghanischen Sicherheitskräfte und bilden sie aus.
Die Zahl der afghanischen Deserteure ist allerdings mittlerweile so hoch, dass sie von der Regierung geheim gehalten wird. Außerdem untergraben Schlendrian, Korruption und Vetternwirtschaft die Kampfkraft. In die Brandherde werden nur Soldaten und Offiziere geschickt, die nicht ihre Vorgesetzten schmieren können – behauptet die Regierung in Kabul. Doch die Wirklichkeit spricht oft genug eine andere Sprache. Und offenbar fehlt es im Kampf gegen die Taliban am Allernötigsten. Soldaten und Polizei klagten während der vergangenen Monate häufig über Mangel an Munition.