Essen. . Cannabis darf künftig in bestimmten Fällen auf Rezept bezogen werden. Doch was passiert, wenn ein Patient mit der Droge im Blut Auto fährt?
Nordrhein-Westfalens Justiz kennt kaum Gnade mit Drogensündern am Steuer. Erst im März hat das Oberverwaltungsgericht in Münster entschieden, dass schon gelegentlicher Drogenkonsum dazu führen kann, dass ein Fahrer zum Führen eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist und den Führerschein abgeben muss. Den Prozess haben drei junge Leute aus Bochum und Essen verloren. Sie waren 2014 und 2015 bei Polizeikontrollen aufgefallen.
So etwas passiert immer öfter. Allein in Essen wurden im Jahr 2016 247 Führerscheine wegen Drogenkonsums entzogen. In der Ruhrgebiets-Stadt sind in den vergangenen vier Jahren die Zahl der ertappten Drogenauffälligkeiten am Steuer um 50 Prozent gestiegen. Und Schwerpunktkontrollen der NRW-Polizei ergaben, dass junge Leute im Schnitt drei mal pro Monat unter Cannabis-Einfluss ihr Auto benutzen.
Ist die harte Justiz-Linie zu halten?
Doch ist die durch das Münsteraner Urteil gefestigte harte Justiz-Linie zu halten? Tatsächlich könnte sie Polizisten und Staatsanwälte im Land bald in größte praktische Nöte bringen. Nach dem Joint ans Steuer – geht das? Diese Frage ist eben nicht mehr pauschal mit Nein zu beantworten. Nach einer jüngsten Änderung des Betäubungsmittel-Gesetzes wird Cannabis künftig weit öfter als bisher aus medizinischen Gründen genutzt. Die Bundesregierung rechnet mit einem drastischen Anstieg.
Der Stoff kann nicht nur, wie schon seit einigen Jahren, aufgrund einer Ausnahmeerlaubnis bezogen und eingenommen werden. Künftig reicht eine ärztliche Verschreibung aus. Krankenkassen erstatten die Kosten. Die Zahl der legalen Konsumenten wird also steigen – und damit die Zahl der Autofahrer, die selbst noch nach einem länger zurückliegenden Konsum zwangsläufig Reste des Hanfprodukts im Blut haben. Ob diese aufgrund der Behandlung einer Krankheit dahin gekommen sind oder nach einem Freizeit-Kiff, ist bei der Verkehrskontrolle vor Ort kaum zu unterscheiden.
Autofahrenden Cannabis-Patienten sollen keine Sanktionen drohen
Die Bundesregierung sieht den Konflikt. Sie stellt auf eine Anfrage der Linken, anders als die Münsteraner Richter, klar: Autofahrenden Cannabis-Patienten drohten dann keine Sanktionen nach dem Straßenverkehrsgesetz, „wenn Cannabis aus der bestimmungsmäßigen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschrieben Arzneimittels herrührt“. Die Fahrer müssten nur in der Lage sein, ihr Fahrzeug sicher zu führen. Mehr noch: Sie brauchten aufgrund der Rechtslage nicht mal eine Rezeptkopie mitführen. Dies wird ihnen allerdings freiwillig „empfohlen“.
In Nordrhein-Westfalen nutzen – Stand 10. März - schon 224 Patienten die Möglichkeit der Ausnahmegenehmigung, um die Droge zur Schmerzlinderung, aber auch für Heilprozesse zum Beispiel bei Darmerkrankungen, Epilepsie und Depressionen einzusetzen. Bundesweit sind es 1061. NRW nimmt in diesem Ranking nach Bayern Platz 2 ein.
Damit hat die legale Einnahme von Cannabis als Medikament binnen weniger Jahre erheblich zugenommen. 2011 gab es an Rhein und Ruhr ganze drei Genehmigungen, 2015 waren es dann 33. Experten erwarten einen schnellen Anstieg des Einsatzes des Hanfprodukts als Arznei. In fünf Jahren könnte es schon 5500 Patienten bundesweit geben, in NRW wären das dann fast 1500.
Trendwende in der Drogenpolitik
Die Entwicklung ist Folge einer Trendwende in der Drogenpolitik. Cannabis ist danach dann legal, wenn es medizinischen Zwecken dient. Die Wirkung der Substanz als Therapeutikum unterscheide sich deutlich von der bei missbräuchlichem Konsum, argumentiert das Berliner Gesundheitsministerium: Drogenkonsumenten wollten sich berauschen, „ein Patient nimmt eine Substanz zu sich, um seinem Leiden entgegenzuwirken“.
Der Staat selbst wird durch eine eigene Cannabis-Agentur in Bonn sogar Hanf-Plantagen einrichten, den Anbau organisieren und die Preise festsetzen. Die erste Ernte wird 2019 erwartet. Bis dahin wird der Bedarf, den die Behörde etwa bei einem Gramm pro Patient und Tag vermutet und derzeit insgesamt auf 365 Kilo pro Jahr schätzt, durch Importe aus Kanada und Holland abgedeckt.
Das Problem des ärztlich verschriebenen Joints vor der Autofahrt will das Bundesgesundheitsministerium jetzt in Gesprächen mit den Ländern klären. Die Richtung ist aus Regierungssicht klar: Eine „einheitliche Anwendung der Vorschriften“ sei zu begrüßen.