Berlin. Bruno Kahl schweigt. In der Öffentlichkeit äußert sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) selten und zu „Partnerdiensten“ gar nicht. Und die Indiskretion, die für Schlagzeilen sorgt, ist ja auch delikat: Der BND-Präsident hat vom türkischen Partnerdienst eine Liste mit Namen angeblicher Gülen-Anhänger in Deutschland entgegengenommen. Der türkische Geheimdienst MIT hatte gehofft, dass sie ausgeforscht werden.
Bruno Kahl schweigt. In der Öffentlichkeit äußert sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) selten und zu „Partnerdiensten“ gar nicht. Und die Indiskretion, die für Schlagzeilen sorgt, ist ja auch delikat: Der BND-Präsident hat vom türkischen Partnerdienst eine Liste mit Namen angeblicher Gülen-Anhänger in Deutschland entgegengenommen. Der türkische Geheimdienst MIT hatte gehofft, dass sie ausgeforscht werden.
Nun schlägt die Initiative wie ein Bumerang zurück. Zum einen ist die Liste publik geworden, zum anderen haben die deutschen Behörden die Betroffenen gewarnt. Mehr noch: Die Liste erlaubt möglicherweise Rückschlüsse auf Spitzelaktionen der Türken in Deutschland, auf die systematische Ausforschung einer Bewegung, die Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Drahtzieher des Putschversuchs in der Türkei hält, für den Staatsfeind Nr. 1.
Für SPD-Fraktionschef Oppermann hatder Fall eine „neue Qualität“
Für die Beziehungen zwischen beiden Staaten ist es eine weitere Belastungsprobe. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) erklärte, Spionage auf deutschem Boden werde nicht geduldet. „Innertürkische Konflikte gehören nicht nach Deutschland. Und das Bespitzeln von Gülen-Anhängern schon mal gar nicht“, sagte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn unserer Zeitung. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann betonte, dass unbescholtene Bürger bespitzelt würden, „hat eine neue Qualität“. Das müsse unterbunden werden. Immerhin habe der BND „richtig reagiert“.
Kahl muss nun aber befürchten, dass der türkische Geheimdienst MIT die Zusammenarbeit herunterfahren wird. Über die Türkei laufen meist die Reisewege und Kontakte von Dschihadisten. Aus der Türkei kommen viele Informationen über Schleuser und Terroristen.
Wie „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR berichten, hatte MIT-Chef Hakan Fidan dem BND-Präsidenten im Februar am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz ein Dossier mit 300 Namen und 200 Organisationen in Deutschland übergeben: Adressen, Telefonnummern, Fotos. Der BND ist nur für die Auslandsaufklärung zuständig. Also übergab Kahl die Liste der Regierung, dem Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und dem Generalbundesanwalt. Die Informationen gingen weiter an die Länder. Der Kreis der Mitwisser war zuletzt so groß, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis der Vorgang bekannt wurde. Zumal Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen die Bürger warnten. Sie sollten wissen, dass sie unter Verdacht stehen und die Chance haben, Repressalien zu vermeiden.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) nimmt kein Blatt vor den Mund: „Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Intensität und Rücksichtslosigkeit auch auf fremdem Staatsgebiet Menschen ausgeforscht werden.“ Türkische Autoritäten seien von einer „fast schon paranoid zu nennenden Verschwörungsangst“ getrieben, wenn sie alle Gülen-Anhänger zu Terroristen erklärten.
Pikant ist, dass die Auswertung des Dossiers aus der Türkei ergab, dass viele Betroffene heimlich fotografiert worden waren. Offensichtlich wurden sie in Deutschland ausgespäht. Bereits im Februar hat der Generalbundesanwalt Räume der türkischen Religionsbehörde Ditib in Deutschland durchsucht, aber offenbar nicht genug Beweise für einen Spionage-Verdacht gefunden. Jetzt ermittelt er erneut.
Die Ironie ist, dass die Türken nun womöglich eine „Smoking Gun“ liefern, einen rauchenden Colt, ein Synonym für einen eindeutigen Beweis. Das Eigentor der Türken ist am ehesten mit dem Übereifer zu erklären, den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen für den gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 verantwortlich zu machen.
Jeder weitere Konflikt heizt nationalistische Stimmungen an
Heute wollen sich Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), de Maizière und die Integrationsbeauftragte Aydan Özoğuz (SPD) mit über 50 türkischstämmigen Abgeordneten aus Kommunen, Ländern und dem Bundestag treffen. Ziel ist „ein offener Austausch über die Schnittstellen zwischen Integration und Außenpolitik“, heißt es. Politisch ist es eine Demonstration der Solidarität.
Für die Bundesregierung besteht die Herausforderung darin, auf der einen Seite „unmissverständlich für Demokratie und Pressefreiheit einzutreten“, wie Oppermann sagte. Auf der anderen Seite weiß der SPD-Politiker, dass jeder Konflikt Erdogan dabei helfen kann, „nationalistische Stimmungen aufzuheizen“.