Berlin. Damit hatte Martin Schulz nicht gerechnet. Eben erst hat ihn der SPD-Parteitag mit einem Sensationsergebnis zum Vorsitzenden gekürt, dass sie in der SPD schon spekulierten, ob „100-Prozent-Schulz“ bald auch über Wasser laufen könne. Zwei Tage später spürt der 61-jährige Kanzlerkandidat plötzlich scharfen Gegenwind – die Union wirft ihm „Arbeitsverweigerung“ und „Flucht aus der Verantwortung“ vor.

Damit hatte Martin Schulz nicht gerechnet. Eben erst hat ihn der SPD-Parteitag mit einem Sensationsergebnis zum Vorsitzenden gekürt, dass sie in der SPD schon spekulierten, ob „100-Prozent-Schulz“ bald auch über Wasser laufen könne. Zwei Tage später spürt der 61-jährige Kanzlerkandidat plötzlich scharfen Gegenwind – die Union wirft ihm „Arbeitsverweigerung“ und „Flucht aus der Verantwortung“ vor.

Denn Schulz hat mit einer ungewöhnlichen Begründung die Teilnahme am entscheidenden Koalitionsgipfel der Partei- und Fraktionschefs Mittwoch nächster Woche abgesagt: Er könne nicht ins Kanzleramt kommen, weil parallel ein Frühjahrsempfang der SPD-Bundestagsfraktion stattfinde. Dafür lässt der SPD-Chef das wohl letzte große Treffen der Koalition platzen, den Startschuss für den Endspurt von Schwarz-Rot. Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) sagte dieser Zeitung: „Frühlingsempfang statt Koalitionsausschuss, Partygeplauder statt Koalitionsverhandlung – mit dieser Einstellung wird der neue Parteivorsitzende der SPD nicht weit kommen.“ Man könne sich nicht nur um die Partei, sondern müsse sich auch um die Probleme im Land kümmern, wenn man als Kandidat ernst genommen werden wolle.

Die Aufregung der Union hat noch zugenommen, seit klar ist, dass man die Begründung für das Fernbleiben des SPD-Chefs nicht zwingend für plausibel halten muss: Denn Gastgeber des Frühjahrsempfangs ist SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann – und der nimmt sehr wohl am Koalitionsgipfel teil, ebenso wie Vizekanzler Sigmar Gabriel. Warum will Schulz es nicht?

Viel spricht dafür, dass der Merkel-Herausforderer nicht zufällig große Distanz zur großen Koalition hält. Der Kanzlerkandidat will keine Fotos, auf denen er bei der Kanzlerin vorfährt, er will mit dem Klein-Klein der Verhandlungen bei Angela Merkel nichts zu tun haben, wo er doch gerade mit eher vagen Ankündigungen die Anhängerschaft mobilisiert.

Im EU-Parlament war Schulz bis vor Kurzem Architekt einer informellen großen Koalition, in Berlin aber will er bei Bedarf in die Rolle der außerparlamentarischen Opposition schlüpfen können. Es zählt zum Vertrauenskapital des Spitzengenossen, dass er mangels Ministeramt und Bundestagsmandat den Eindruck erwecken kann, vom Berliner Politbetrieb unbelastet zu sein und die Probleme mit den Augen normaler Bürger zu betrachten – obwohl er seit fast 18 Jahren Mitglied der engsten SPD-Führung ist.

Im Kanzleramt soll es vor allem um SPD-Vorhaben gehen

Der Vorsitzende weiß zudem, dass die Koalition in der SPD „so beliebt ist wie Mundgeruch und Käsefüße“, wie es ein Führungsmann ausdrückt. Ist es da klug, sich auf den letzten Metern noch ins Koalitionsgetümmel zu werfen? Aus Sicht des Wahlkämpfers heißt die Antwort wohl nein. Aber mit Blick auf handfeste Politik für die SPD-Klientel gäbe es gute Gründe für die Teilnahme: Es ist die SPD, die umfangreiche Pläne für die Tagesordnung des Gipfeltreffens entwirft. Die Sozialdemokraten wollen nächste Woche das von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) geplante Recht auf nur vorübergehend teilzeitreduzierte Beschäftigung zur Entscheidung stellen und ebenso die Forderung, die steuerliche Absetzbarkeit von Managergehältern zu begrenzen. Es geht um das von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) vorgelegte Gesetz für mehr Lohngerechtigkeit zwischen Frauen und Männern, das in der Union auf heftigen Widerstand stößt. Auch das SPD-Modell einer Solidarrente müssen die Koalitionsspitzen beraten, mehrere Streitthemen aus der Gesundheitspolitik und Fragen der Bund-Länder-Finanzen.

Die wegen des Schulz-Hypes bislang ratlose Union entdeckt so plötzlich einen Angriffspunkt. Schon gibt es Stimmen, die eine Verlegung des Koalitionsgipfels fordern, wenn sich der SPD-Chef nächsten Mittwoch verweigert.

Unter Koalitionspartnern ist das Verhalten des Vorsitzenden tatsächlich ungewöhnlich. Schulz wollte sich am Dienstag auf Anfrage nicht äußern. Sein Umfeld versucht, die Gipfel-Terminierung als unglücklich einzustufen. Schließlich habe man aus Rücksicht auf CSU-Chef Horst Seehofer den Koalitionsgipfel schon einmal verschoben. Die Angriffe der Union seien völlig überzogen. Auch Oppermann zeigt sich verärgert und sagt, das Treffen sei „ohne meinen Wunsch“ terminiert worden.