Istanbul. Deutschlands Vorgehen gegenüber der Türkei erinnere an die Nazi-Zeit, sagt Erdogan. Deutsche Politiker forderten eine Entschuldigung.
Erbost über die Absagen deutscher Kommunen für die Auftritte türkischer Politiker hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Deutschland ein Vorgehen wie zu Zeiten der Nationalsozialisten vorgeworfen. „Eure Praktiken unterscheiden sich nicht von früheren Nazi-Praktiken“, sagte Erdogan in einer Rede am Sonntag in Istanbul. Dabei habe er gedacht, diese Zeiten seien vorbei. Man habe sich wohl geirrt, fügte er bei einer Veranstaltung der regierungsnahen Frauenorganisation „Kadem“ hinzu.
Weiter sagte Erdogan: „Deutschland, du hast in keiner Weise ein Verhältnis zur Demokratie und du solltest wissen, dass deine derzeitigen Handlungen nichts anders sind als das, was in der Nazi-Zeit getan wurde.“ Dann fragte er provokant, wieso die Deutschen beunruhigt seien, wenn er einen solchen Satz ausspreche.
Reaktionen auf Erdogans Nazi-Vergleich
„Wenn ihr mich nicht sprechen lasst, werde ich einen Aufstand machen“
Stunden später legte der Politiker mit einer weiteren Bemerkung nach. „Ich habe gedacht, der Nationalsozialismus in Deutschland ist vorbei, aber er geht noch immer weiter“, sagte er am Abend in Istanbul nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu.
Zu Berichten, dass er einen Auftritt in Deutschland plane, sagte Erdogan Anadolu zufolge: „Wenn ich will, komme ich morgen. Ich komme, und wenn ihr mich nicht hereinlasst oder mich nicht sprechen lasst, dann werde ich einen Aufstand machen.“
Bundesregierung: Erdogans Nazi-Vergleich „absurd und deplatziert“
Die Bundesregierung hat den Nazi-Vergleich Erdogans scharf kritisiert. „Gleichsetzungen der Politik des demokratischen Deutschlands mit der des Nationalsozialismus weisen wir entschieden zurück“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. „Ohnehin sind NS-Vergleiche immer absurd und deplatziert, denn sie führen nur zu einem, nämlich dazu, die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus zu verharmlosen. Das disqualifiziert sich von selbst.“
Unions-Außenpolitiker Jürgen Hardt forderte von Erdogan eine „Entschuldigung“ für seinen Nazi-Vergleich. Unserer Redaktion sagte Hardt, „nicht Deutschland, sondern die Türkei verlässt mit dem illegitimen Versuch, über eine Verfassungsänderung das Parlament zu entmachten und die Herrschaft des Volkes durch die Herrschaft des Präsidenten zu ersetzen, den Boden von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“.
Wörtlich fügte er hinzu: „Ich erwarte eine Entschuldigung.“ Mit seinem „törichten Nazi-Vergleich“ lasse Präsident Erdogan jegliche historische Erkenntnis außer Acht.
Maas: „infam, abstrus und inakzeptabel“
Erdogans Äußerungen
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(SPD) am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Anne Will“. Trotz massiver Kritik am Nazi-Vergleich lehnte er ein Einreiseverbot gegen diesen und andere Politiker des Landes ab. „Die Verhängung eines Einreiseverbots würde nichts verbessern“, sagte Maas.
Scheuer fordert Entschuldigung
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer reagierte ebenfalls empört: „Das ist eine ungeheuerliche Entgleisung des Despoten vom Bosporus“, sagte Scheuer der „Passauer Neuen Presse“. „Der Nazi-Vergleich ist ebenso unverschämt wie abwegig.“
Auch Scheuer forderte eine Entschuldigung Erdogans. „Wir in Deutschland sorgen uns um die öffentliche Ordnung und verteidigen die Demokratie, dafür brauchen wir uns nicht beleidigen zu lassen. Weiter sagte er: „Wir wollen keine türkische Innenpolitik auf deutschem Boden.“ Erdogan, der Journalisten wegsperre und die Todesstrafe einführen wolle, sitze im Glashaus und werfe dennoch mit dicken Steinbrocken.
Özdemir ruft EU zu gemeinsamer Türkei-Strategie auf
Grünen-Chef Cem Özdemir hat die EU und die Parteien in Deutschland dazu aufgerufen, eine gemeinsame Türkei-Strategie zu entwickeln. Die europäischen Länder dürften bei der Frage von Auftritten türkischer Politiker nicht gegeneinander ausgespielt werden, sagte er am Montag im ARD-„Morgenmagazin“. Europa müsse einheitlich vorgehen.
Auch innerhalb Deutschlands brauche es über die Parteien hinweg eine gemeinsame Türkei-Politik. „Eigentlich ist das ein Thema, das Regierung und Opposition gemeinsam bearbeiten sollten“, sagte der Grünen-Spitzenkandidat. „Egal, wer regiert, die Türkei bleibt wichtig.“ Deutschland habe ein Interesse daran, dass die Türkei nicht näher an Russland rücke oder stärker zu Islamismus und Ultranationalismus drifte.
Özdemir rief dazu auf, auf die Irrationalität in der Türkei nicht mit Irrationalität zu antworten. „Ich würde raten, dass wir mit kühlem Kopf überlegen, was trägt dazu bei, dass dieser Erdogan das Referendum verliert. Weil wenn er das Referendum gewinnt, dann wird die Türkei eine Art Sultanat, Operetten-Sultanat.“
Wirtschaftsminister zu Auftritten in Leverkusen und Köln
Von den Aussagen Erdogans überschattet wurden zwei Auftritte des türkischen Wirtschaftsministers Nihat Zeybekci in Deutschland. In Leverkusen war Zeybekci zu einer Kulturveranstaltung geladen. „Es gab Spekulationen um meinen Auftritt“, sagte der 56-Jährige am frühen Abend in einem Grußwort. „Ich möchte es mal so sagen: Ich bin hergekommen, um Freude zu bereiten.“ In Leverkusen blieb der Minister überraschend unpolitisch.
Am Abend reiste Zeybekci nach Köln weiter, um dort für die Verfassungsänderung zugunsten eines Präsidialsystems in der Türkei zu werben. Indirekt ging Zeybekci auch auf die Auseinandersetzungen zwischen Deutschland und der Türkei ein. „Wir lassen uns nicht vorschreiben, was wir zu tun und zu lassen haben“, sagte er. Die Deutschen nannte er nicht direkt, erwähnte aber, die Deutsch-Türken lebten „in einem Land, das unser Freund ist“.
Wahlkampfauftritte türkischer Politiker abgesagt
In den vergangenen Tagen waren mehrere Wahlkampfauftritte türkischer Minister in Deutschland abgesagt worden. Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci wollte am Sonntagabend dennoch in Köln auftreten. (dpa/rtr/aba/kam/ac)