Essen. . Hunderte Brutpaare leben in NRW, mehr als 400 Jungvögel sind ausgeflogen: der Greifvogel fühlt sich wohl. Zum Missfallen der Taubenzüchter.
Seine Spannweite reicht über eineinhalb Meter. Er kann mit 320 Stundenkilometern schneller sein als ein ICE. Die Beute holt er sich im Flug. Über Jahrzehnte schien „Falco Pelegrinus“ an Rhein und Ruhr vom Aussterben bedroht. Jetzt ist der Wanderfalke wieder da. Mindestens 222 Brutpaare leben im Rheinland und im Ruhrgebiet, mehr als 400 Jungvögel sind ausgeflogen, bestätigt die Landesregierung in diesen Tagen.
Das Düsseldorfer Umweltministerium reagiert mit diesen Zahlen auf eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Christina Schulz-Vöcking. Beim Wanderfalken seien „die bislang erreichten Ziele des Artenschutzes sehr positiv“, stellt das Remmel-Ministerium fest. Sein Erhaltungszustand im nordrhein-westfälischen Tiefland? „Sehr günstig.“ Im Bergland sieht es gedämpfter aus.
Erfolgsstory mit spannendem Hintergrund
Was etwas hölzern und noch vorsichtig klingt, ist eine Erfolgsstory. Sie hat einen spannenden Hintergrund. Die Rückkehr zu verdanken hat der streng geschützte Raubvogel unter anderem dem Umstand, dass NRW ein Industrieland ist, dicht bepflastert mit einschlägigen Werksanlagen. Die schnellen Flieger lieben Kühltürme und Kamine. Stephanie Krüßmann von der Arbeitsgemeinschaft Wanderfalkenschutz erklärt das so: „Jede große Vertikalstruktur“ - von der Felsnadel über einen Sendemast bis zum Kraftwerksschornstein – sei für seine Art ein geeigneter Brutplatz. Dort richteten die Paare ihre Nester ein. In letzter Zeit begnügen sich jüngere Populationen offenbar auch mit Kirchtürmen geringerer Höhe. Die Schornsteine sind schon besetzt.
Schon vor einigen Jahren hat die Arbeitsgemeinschaft eine Karte veröffentlicht, die zeigt: Der Vogel bevorzugt zahlreiche Industriebauten im Ruhrgebiet. So sitzt ein Pärchen im 200 Meter hohen Schornstein des Heizkraftwerks in Essen-Karnap, wo auch RWE-Mitarbeiter zu den liebevollen Pflegern der Tiere gehören. Zu den begehrten Nistplätzen zählen zudem die Braunkohlekraftwerke und Schaufelradbagger in der Voreifel und die Brückenpylone der Autobahn A 45 quer durchs Sauerland. Gerade werden hier viele Bauwerke durch den Landesbetrieb Straßen.NRW saniert. Auf den Baustellen arbeiten Tierschützer eng mit den Ingenieuren zusammen, bestätigt Stephanie Krüßmann.
NRW liegt bundesweit vorne
Dass Nordrhein-Westfalen inzwischen bundesweit den wohl dichtesten Besatz mit Wanderfalken hat, grenzt dabei an ein kleines Wunder. Ende der 60er-Jahre des letzten Jahrhunderts schien der Vogel ausgerottet. Ein letztes Brutpaar war an den Bruchhauser Steinen im Sauerland geortet worden. Schuld am damaligen Aussterben: Das Pestizid DDT, ein heftig wirkendes Pflanzenschutzmittel und Umweltgift, das die Embryonen der Tiere schädigte. Mit einer behutsamen und natürlichen Wiederansiedlungs-Strategie von Vogelschutzwarte und AG Wanderfalkenschutz, die auch von der Landesregierung gelobt wird, schaffte man es, die Falken zurückzuholen. Sie konnten von der „Roten Liste“ des Landes gestrichen werden.
Ungefährdet sind sie aber auch jetzt nicht. Tatsächlich tobt ein Kleinkrieg zwischen Falken-Freunden und Taubenzüchtern, der wohl teils mit tödlichen Mitteln ausgefochten wird.
Taubenzüchter machen gegen die gewollte Ausbreitung der Wanderfalken-Pärchen mobil. Erst im letzten Jahr haben sie mit Briefen an Landesminister Front ihren Unmut geäußert. Sie fürchten um ihre Bestände. Wanderfalken leben von Vögeln - und schlagen Tauben im Flug. Das ist unbestritten.
Taubenzüchter im Verdacht, Giftfallen aufzustellen
Andererseits haben Tierschützer Taubenzüchter in Verdacht, den Bestand der geschützten Greifvögel mit heimtückischen Giftfallen - wie durch mit Gift der Sorte Carburan bestrichenen lebenden Tauben als Köder - zu dezimieren. Der spektakulärste Angriff: 2016 verschwand das komplette Wanderfalkengelege an einem Kirchturm im münsterländischen Lüdinghausen. Zuvor hätte ein benachbarter Taubenzüchter die Gemeinde brieflich aufgefordert, das Nest zu entfernen. Die jährlichen Fallzahlen illegalen Aktionen „schwanken zwischen 20 und 71 Fällen pro Jahr“, schreibt der Naturschutzbund NABU NRW. In den letzten zwei Jahren hätten sie deutlich zugenommen, sagt auch Stephanie Krüßmann. Sie fordern die Bevölkerung auf, mögliche Beobachtungen zu melden.
Wobei jedoch auch neue industriepolitische Entscheidungen den Raubvögeln die Zukunft rauben können. Dazu, diese Sorge geht aus Papieren des NABU durchaus hervor, zähle auch die Energiewende: Kraftwerke verschwinden und damit die Nistplatz-Möglichkeiten, und stattdessen entstehen in unmittelbarer Nachbarschaft Windkraftanlagen. Deren Flügel sind tödlich.