Essen. . Der Bund wird zuständig für die Autobahnen. 1300 Länderbeamte sollen in eine neue Superbehörde wechseln. Das sorgt für Unruhe bei Straßen NRW.
Gut einen Monat nach dem Beschluss der Bundesregierung zur Gründung einer Bundesautobahngesellschaft wächst in NRW die Ungewissheit über die Folgen dieses historischen Spurwechsels im bislang föderal organisierten Fernstraßenbau. Den knapp 6000 Mitarbeitern der NRW-Baubehörde Straßen NRW stehen laut Beamtengewerkschaft Komba Jahre der Unsicherheit bevor, wenn die seit Jahrzehnten geltende Länderhoheit für die Autobahnen bis 2021 auf eine Bundesfernstraßengesellschaft verschmolzen wird.
„Die Beschäftigten sind zu Recht in Sorge, was mit ihnen und ihren Arbeitsplätzen geschieht“, sagte Stefan Fedder, Vorsitzender der Komba-Fachgruppe Straßen NRW, dieser Zeitung. Angesichts des spärlichen Nachrichtenflusses über den Zuschnitt der neuen Gesellschaft bezeichnete Fedder die Lage als „verworren“.
Straßen NRW betreut das gesamte nordrhein-westfälische Autobahnnetz, Tausende Kilometer an Bundes- und Landesstraßen sowie rund 13 000 Brücken- und Tunnelbauwerke. 2016 konnte die Behörde über ein Rekordbudget von über einer Milliarde Euro verfügen. Mit dieser Herrlichkeit dürfte es bald vorbei sein. Denn bei den Bund-Länder-Finanzgesprächen im Herbst hatten die Länder zähneknirschend dem Drängen Berlins nach einer zentralen Autobahngesellschaft nachgegeben. Die Folge: Nicht nur Finanzierung, sondern erstmals auch Planung, Bau und Betrieb der Fernstraßen werden künftig zentral in Bundeshand liegen. Dazu plant Berlin den Aufbau einer privatrechtlich wirtschaftenden Infrastrukturgesellschaft unter dem Dach eines neuen Fernstraßen-Bundesamtes.
Die Superbehörde soll – vergleichbar dem Eisenbahn-Bundesamt bei der Bahn – als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde der Autobahngesellschaft fungieren. Laut dem Kabinettspapier, das dieser Zeitung vorliegt, sollen 1300 Beamte aus den Straßenbauämtern der Länder in die neue Bundesbehörde wechseln. Finanzieren soll sich die Autobahngesellschaft durch die Milliardeneinnahmen aus der Pkw- und Lkw-Maut und durch private Investitionen. Der umstrittenen Beteiligung privater Investoren am Straßenbau ist damit Tür und Tor geöffnet, eine Privatisierung der Autobahnen wird in der Vorlage aber ausgeschlossen.
Gerätselt wird, wo Autobahngesellschaft und -behörde ihr Domizil beziehen. Dem Bundesverkehrsminister billigt der Gesetzentwurf das alleinige Bestimmungsrecht über den Sitz der neuen Behörde zu – was bereits Spekulationen darüber auslöste, Amtsinhaber Alexander Dobrindt (CSU) könne bei der prestigeträchtigen Vergabe sein Heimatland Bayern bevorzugen. Infrage kommen aber auch Standorte in der Nähe des Bundesverkehrsministeriums mit seinem Doppelsitz in Berlin und Bonn.
Für die bisher eigenständigen Länderbehörden stehen so oder so große Umbrüche bevor. Der von einer Bund-Länder-Kommission begleitete Übergang des 11 000 Kilometer langen Autobahnnetzes auf den Bund dürfte ein Kraftakt werden. Den Länder-Beschäftigten wurden per Kabinettsbeschluss weitreichende Besitzstandsgarantien in Aussicht gestellt. Zwangsversetzungen soll es nicht geben. Doch schon jetzt zeichnen sich Sollbruchstellen dieser gigantischen Behördenfusion ab.
Ungewissheit in Gelsenkirchen
Aus NRW-Sicht könnte der Prozess besonders schmerzhaft werden. Straßen NRW ist die größte Landesstraßenbaugesellschaft. Sie steuert vom Betriebssitz in Gelsenkirchen aus ein dichtes Netz aus zehn Niederlassungen sowie 80 Straßen- und Autobahnmeistereien. Die Gewerkschaft Komba fürchtet, dass die Zuständigkeiten kaum sauber und ohne „Effizienzverluste“ zu trennen sind. Unwahrscheinlich auch, dass der Behördensitz in Gelsenkirchen mit über 400 Mitarbeitern nicht Federn lassen muss. Nicht in jedem Punkt ist überdies klar, wie weit die Zuständigkeit des Bundes künftig reichen soll. Straßen NRW dürfe neben den Autobahnen nicht auch noch die Aufsicht über die Bundesstraßen verlieren, mahnt Komba-Gewerkschafter Stefan Fedder. Übrig blieben dann nur noch Landesstraßen und einige Kreisstraßen.
Experte: Zentralisierung ist große Chance
Die Autobahnen künftig zentral vom Bund verwalten zu lassen, hält das Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dagegen für eine große Chance zum Abbau des Sanierungsstaus im Fernstraßensystem. Die bisherige Autobahnverwaltung durch die Länder sei „ganz offensichtlich überfordert“, sagte IW-Verkehrsexperte Thomas Puls dieser Zeitung. Das bisherige System habe zu viele unnötige Reibungspunkte. Die einzelnen Straßenbauämter der Länder arbeiteten mit „sehr unterschiedlichen Qualitäten“.
Puls fordert einen „Strukturbruch“ im Fernstraßenbau. „Es genügt nicht, einfach nur die Länderbehörden zusammenzuführen“, sagte er. Die neue Autobahngesellschaft müsse als Arbeitgeber konkurrenzfähig zur Privatwirtschaft sein und um Ingenieure und Planungsspezialisten mit attraktiveren Gehältern als im öffentlichen Dienst werben, sagte Puls. Der Aufgabenstau im Straßenbau liege auch im dramatischen Fachkräftemangel der Branche begründet. Zudem dürfe die Gesellschaft kein Verschiebebahnhof für Bundesschulden werden.