Istanbul/Berlin. . Mindestens 39 Menschen sind beim Anschlag auf den Nachtclub “Reina“ in Istanbul gestorben. Präsident Erdogan kündigte eine härtere Gangart an.
Das neue Jahr beginnt in der Türkei so bitter, wie das alte geendet hat – mit Terror und Toten. Ein Attentäter stürmte in der Silvesternacht mit einem automatischen Gewehr den Nobel-Nachtclub „Reina“ im Zentrum von Istanbul und feuerte in die feiernde Menge. Mindestens 39 Menschen wurden getötet, darunter nach ersten Erkenntnissen 15 Ausländer. Sie sollen nach Medienberichten aus Tunesien, Saudi-Arabien, Marokko, Libanon und Israel stammen. Von deutschen Opfern war zunächst nichts bekannt. Insgesamt wurden mehr als 60 Menschen verletzt.
Die türkischen Behörden gingen von einem Attentäter aus, gegen den eine Großfahndung eingeleitet wurde. Bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe gab es keine Hinweise über Verbleib und Motiv des Täters. In Medienberichten war zunächst von zwei Attentätern die Rede, die nach Angaben von Augenzeugen Arabisch gesprochen hätten. Meldungen, wonach der oder die Angreifer ein Weihnachtskostüm getragen haben sollen, wurden von offizieller Seite dementiert. Solche Aussagen seien falsch, erklärte der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim: „Wir wissen von einem bewaffneten Terroristen.“
Vornehmlich gut betuchte Kunden im "Reina"
Der Istanbuler Nachtclub „Reina“ wird vor allem von gut betuchten Kunden besucht. Der weitläufige Komplex befindet sich im schicken Ausgehviertel Ortaköy im europäischen Teil Istanbuls. Er besteht aus Restaurants, Bars und Tanzflächen am Ufer des Bosporus und ist seit 15 Jahren ein angesagter Treffpunkt der städtischen Prominenz. Auch ausländische Besucher zieht es zum „Reina“, aber nicht alle finden Einlass. Die Türsteher gewähren nur Gästen Einlass, die zahlungskräftig aussehen. Wie in allen großen Istanbuler Hotels und vielen Top-Restaurants gibt es Sicherheitsvorkehrungen: Am Eingang des Nachtclubs stehen Metalldetektoren. Der Attentäter zückte jedoch schon vor der Tür eine Waffe, erschoss einen Polizisten und einen Türsteher und drang dann in den Club ein. Vor drei Wochen hatten sich Terroristen der TAK, einer Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, nach einem Fußballspiel im Zentrum Istanbuls in die Luft gesprengt. Dabei wurden 45 Menschen in den Tod gerissen, darunter viele Polizisten. Ordnungshüter und Soldaten waren in der Vergangenheit häufig das Ziel kurdischer Extremisten.
Der Anschlag der Silvesternacht trug jedoch nicht die Handschrift kurdischer Terroristen. Die Bluttat im Nachtclub „Reina“ erinnert eher an Attentate der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), der es vor allem um hohe Verluste unter Zivilisten geht. Das Massaker im Pariser Bataclan-Theater am 13. November 2015 entspricht diesem Anschlagsmuster. Erst am Sonnabend hatte die türkische Polizei in der Hauptstadt Ankara acht mutmaßliche Mitglieder des IS festgenommen. Die Verdächtigen hätten Anschläge in der Silvesternacht geplant, meldete die Nachrichtenagentur Anadolu. Der IS verfügt in der Türkei nach Erkenntnissen westlicher Geheimdienste über ein dicht geknüpftes Netzwerk und hatte im vergangenen Jahr in Istanbul mehrere schwere Anschläge verübt. Dazu zählt auch ein Selbstmordattentat auf eine deutsche Touristengruppe vor der Blauen Moschee am 12. Januar mit zwölf Toten. Auch der von drei Selbstmordattentätern ausgeführte Angriff auf den Istanbuler Atatürk-Flughafen, bei dem am 28. Juni 47 Menschen starben, geht auf das Konto des IS.
Kurs der Regierung dürfte sich verschärfen
Nach dem neuesten Anschlag dürfte sich der innen- und außenpolitische Kurs der Regierung weiter verschärfen. Seit dem gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits Zehntausende Staatsdiener vom Dienst suspendiert. Ihnen wurde eine Nähe zum vermeintlichen Drahtzieher des Putsches, dem im US-Exil lebenden islamischen Prediger Fethullah Gülen, vorgeworfen. Auch gegen Mitglieder der prokurdischen Partei HDP und eine Vielzahl von Journalisten wurde wegen angeblicher Terrorunterstützung ermittelt. Zudem haben die türkischen Streitkräfte in Nordsyrien ihren Kampf gegen die IS-Milizionäre sowie die kurdischen YPG-Verbände verschärft. Damit erhöht sich die potenzielle Angriffsfläche der Türkei gegen islamistische und kurdische Extremisten.
Präsident Erdogan kündigte unmittelbar nach dem Attentat eine härtere Gangart an. Die Türkei werde alles Nötige tun, um „die Sicherheit und den Frieden ihrer Bürger zu gewährleisten“, erklärte er. Ziel der Angreifer sei, „Chaos“ zu stiften, doch die Türkei werde diese „schmutzigen Spiele“ nicht zulassen. Vielmehr werde man „bis zum Ende“ gegen die Angriffe der „Terrororganisationen und der Kräfte dahinter“ kämpfen. Damit seien nicht nur bewaffnete Angriffe gemeint, sondern auch solche gegen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Die Opposition übte scharfe Kritik an Erdogan. Die Regierung der islamisch-konservativen AKP sei nicht in der Lage, Terroranschläge zu verhindern, erklärte Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu auf der Website der Mitte-links-Partei CHP. Vielmehr schöpften die „Terrororganisationen“ nach jedem Anschlag geradezu neuen Mut für den nächsten. „Der Grund für diese Situation ist, dass es der Regierung an einer rationalen, wissenschaftlichen, nachhaltigen und nationalen Anti-Terror-Politik fehlt“, erklärte Kilicdaroglu.