Berlin. Sicher ist nur die brutale Tat: Elf Menschen sterben auf dem Weihnachtsmarkt im Zentrum Berlins, ein polnischer Lkw-Fahrer wird durch einen Schuss getötet. Von Vorsatz sprechen die Ermittler, von einem Anschlag, möglicherweise mit einem terroristischen Motiv. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht in einem Statement im Kanzleramt von einem Terroranschlag. Doch nur wenig später schleicht sich die Ungewissheit in Aussagen von Kriminalpolizisten und Politikern.
Sicher ist nur die brutale Tat: Elf Menschen sterben auf dem Weihnachtsmarkt im Zentrum Berlins, ein polnischer Lkw-Fahrer wird durch einen Schuss getötet. Von Vorsatz sprechen die Ermittler, von einem Anschlag, möglicherweise mit einem terroristischen Motiv. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht in einem Statement im Kanzleramt von einem Terroranschlag. Doch nur wenig später schleicht sich die Ungewissheit in Aussagen von Kriminalpolizisten und Politikern.
Es gibt bis zum Dienstagnachmittag einen Tatverdächtigen. Polizisten fassten den Mann um 20.56 Uhr am Montag in der Nähe der Siegessäule. Zeugen sahen den Fahrer des Lastwagens fliehen, in Richtung Tiergarten. Alles schien klar: ein junger Pakistaner, möglicherweise als Flüchtling getarnt, reist über die Balkanroute nach Deutschland ein. Kam der Mann Ende Dezember schon als Terrorist? War er eingebunden in ein Netzwerk? Warum fiel er niemandem auf? Am Morgen nach der Tat sind das die Fragen, die manche in die Nachrichtenflut werfen.
Das Szenario eines islamistischen Terroranschlags wäre nicht unwahrscheinlich; es gibt zunächst keine Beweise, aber Indizien. Und schlimme Erfahrungen in der Vergangenheit. Es gab die Anschläge von Würzburg und Ansbach im Sommer, in denen ein Afghane und ein Syrer die Täter waren. Der eine hatte sich offenbar ohne Ausbildung in einem Terrorcamp oder in einer Szene vor allem über Internetpropaganda radikalisiert, der andere war eingebunden in eine Terrorstruktur des „Islamischen Staats“ (IS).
Beide kamen als Flüchtlinge nach Deutschland. Auch bei den Attentaten von Paris im November 2015 waren zwei der Angreifer als Flüchtlinge getarnt nach Europa eingereist. Deutsche Sicherheitsbehörden hatten zuletzt auch immer wieder vor dieser Methode gewarnt. Doch im Lauf der Ermittlungen wachsen die Zweifel an dieser These. Und im Netz verbreiten sich vor allem viele Gerüchte, Informationen widersprechen sich. Nachmittags sprechen die Berliner Polizei und Bürgermeister Michael Müller (SPD) erst eine halbe Stunde über die Tat und die Ermittlungen, bis Zweifel an der Schuld des Festgenommenen geäußert werden.
Und auch noch am frühen Abend nach der Bluttat ist wenig klar. Läuft der tatsächliche Angreifer noch immer unentdeckt durch Deutschland? Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sagt am Nachmittag, es sei möglich, dass der gefährliche Täter noch im Raum Berlin unterwegs sei. Die allgemeine Terrorgefahr sei aber bundesweit nun nicht größer als vor der Tat. Auch die Untersuchung der Spuren in dem Lastwagen und dem toten Beifahrer dauerten am frühen Abend noch an: Blut, Haare, Fingerabdrücke, Schuppen – all das könnte Aufschluss über die Täter geben. Doch selbst wenn DNA gesichert wird, hilft das nur, wenn die Daten in den Suchmaschinen der Polizei Treffer anzeigen. Für diese Untersuchungen brauchen die Beamten Zeit. Etliche Spuren finden sich allein in der blutverschmierten Zugmaschine. Der Polizei rennt die Zeit davon: Der 23 Jahre alte festgenommene Pakistaner streitet die Tat ab.
Die Tatwaffe, mit dem der Beifahrer möglicherweise beim Kapern des Lastwagens getötet wurde, fehlt. Ein Zeuge ist dem mutmaßlichen Täter gefolgt, doch er verlor ihn. Nach Information dieser Redaktion passt das Aussehen des jungen Mannes nicht auf die Beschreibungen des oder der Zeugen. Auch Schmauchspuren durch den Schusswaffengebrauch oder Blutspuren durch den Mord an dem Beifahrer oder Verletzungen bei der Anschlagsfahrt finden die Polizisten bei dem Tatverdächtigen nicht. Ein Bekennervideo oder ein Schreiben von Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ oder al-Kaida: ebenfalls zunächst Fehlanzeige. Der Generalstaatsanwalt Peter Frank gibt am Nachmittag zu Protokoll: „Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass der Festgenommene nicht der Täter ist.“
BKA-Chef: Wir ermittelnin alle Richtungen
Dennoch nehmen sowohl Frank als auch BKA-Chef Holger Münch immer noch an, dass die Tat ein Terroranschlag gewesen sein könnte. „Wir sind hochalarmiert und ermitteln in alle Richtungen“, sagt der BKA-Präsident. Auch ohne Beweise spricht viel dafür: Der Tathergang erinnert an das islamistisch motivierte Attentat von Nizza, als ein Mann mit einem Lastwagen in eine Menschenmenge an der Promenade raste. Der Tatort jetzt war ein Weihnachtsmarkt – ein symbolträchtiges Ziel für Terroristen, eines dieser unendlichen „weichen“ Ziele in den Straßen Deutschlands. In der Propaganda des IS finden sich solche Anschlagspläne.
Im Umfeld des festgenommenen Asylsuchenden finden sich diese Pläne vorerst nicht. Der Mann ist der Polizei bekannt, jedoch nur aufgrund von kleineren Delikten. Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagt dieser Redaktion: „Es ist schwierig für die Behörden, wenn man nach der Festnahme eines Tatverdächtigen durch polizeiliche Ermittlungen zu dem Schluss kommt, dass sich Dinge anders gestalten. Da wird großer Druck aufgebaut, und dann stellt man fest, dass die Ermittler wieder neu anfangen.“ Am Abend teilen die Behörden mit, dass sie den Verdächtigen wieder frei lassen: Die Ermittler konnten einen dringenden Tatverdacht nicht nachweisen.