Essen. Den Ruhrgebietsstädten gelingt es endlich, ihre seit Jahren defizitären Haushalteins Lot zu bringen. Große Sorgen bereiten jetzt die Kredite.
Wenn Martin Junkernheinrich in der kalten Jahreszeit die Finanzsituation des Reviers aufbröselt, dann schmeckt das üblicherweise niemandem. Das liegt keineswegs daran, dass es dem Finanzprofessor der TU Kaiserslautern nicht gelänge, die schwere Kost mit leichter Hand zu servieren. Nein, der wahre Grund für die regelmäßig auftretenden Schluckbeschwerden liegt in der Sache selbst: Seit Jahren stellen sich die Erkenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse an der Ruhr quer zum Magen.
Diesmal aber ist alles anders. Erstmals seit Langem nimmt der am Donnerstag in Essen vorgestellte Kommunalfinanzbericht des Regionalverbandes Ruhr (RVR) wieder das Wort „positiv“ in die Schlagzeile. Das auch vom Land in vielen Bereichen verordnete Sparen in den Städten und Kreisen des Reviers hat Wirkung gezeigt. Ende 2015 ist der Haushaltsausgleich fast überall gelungen. Zuletzt war das Revier 1999 so nah an der viel zitierten schwarzen Null.
Innerhalb nur eines Jahres ist das Defizit aller Kommunaletats im Ruhrgebiet um 383 Millionen Euro auf nur noch 20 Millionen Euro zusammengeschmolzen. Umgerechnet auf jeden erwachsenen Revierbürger sank das Defizit auf nur noch vier Euro gegenüber 80 Euro im Vorjahr. Zum Vergleich: 2006 lag der Pro-Kopf-Wert bei sage und schreibe 250 Euro.
Beim Sparen geholfen hat den Städten besonders der vom Land für finanzschwache NRW-Kommunen aufgelegte Stärkungspakt Stadtfinanzen. Dessen strengen Auflagen hatten sich besonders viele Ruhrgebietsstädte unterworfen. Im Gegenzug winken Landesmittel in beträchtlicher Höhe. Allein ins Ruhrgebiet fließen laut RVR-Bericht jährlich 426 Millionen Euro. Ohne diese Stärkungspakt-Mittel wäre das Revier freilich noch Meilen von der Ziellinie entfernt. Dennoch: Die Verringerung der Haushaltsdefizite sei allein den Sparbemühungen der Städte zu verdanken, betonte Junkernheinrich. „Der Aufwärtstrend hat sich stabilisiert“, so sein Fazit.
Für Junkernheinrich ist damit der erste Schritt zur Konsolidierung der Revier-Finanzen erreicht. Nun müsse es dringend an die Lösung des zweiten großen Finanzproblems im Ruhrgebiet gehen: den Abbau des riesigen Schuldenbergs, der sich in allen Revier-Kommunen auftürmt.
14,6 Milliarden Euro Kreditschulden
Besonders argwöhnisch verfolgt Junkernheinrich die Entwicklung der so genannten Kassenkredite. Ursprünglicher Zweck dieses Kommunal-Dispos war die Überbrückung kurzfristiger Finanz-Engpässe. Weil gepumptes Geld derzeit aber kaum noch etwas kostet, mutierte dieser Topf längst zum dauerhaft geöffneten Geldhahn für laufende Ausgaben wie etwa die Gehälter städtischer Mitarbeiter. Mit 14,6 Milliarden Euro stehen die Revierstädte inzwischen in der Kreide. Das sind fast zwei Drittel der Kassenkredite aller NRW-Kommunen überhaupt. Junkernheinrich hält das für brandgefährlich. Die Kassenkredite seien eine tickende Zeitbombe. Schon ein geringer Anstieg der Zinsen könne die Kreditkosten der Städte in schwindelregende Höhen treiben. Junkernheinrich: „Sollte das Zinsniveau steigen, wären alle Sparbemühungen dahin.“
Den gigantischen Schuldenberg aus eigener Kraft abzubauen, traut Junkernheinrich den Städten nicht zu. Als Lösung schlägt der Finanzwissenschaftler einen Entschuldungsfonds vor, der die Tilgungslasten gleichmäßig auf Kommunen, Land und Bund verteilt. Dann, glaubt er, wäre eine Entschuldung in 30 Jahren denkbar. Junkernheinrich: „Aber es muss bald geschehen, solange die Zinsen noch so günstig sind.“