Essen. . Erst wird sie gefeiert, der Beifall will nicht aufhören, mehr als elf Minuten lang. Aber dann kommt die Wahl zur CDU-Vorsitzenden, und das Ergebnis ist ernüchternd. Nur 89,5 Prozent der 1001 Delegierten auf dem Essener CDU-Parteitag stimmen am Dienstag für Angela Merkel. Die Kanzlerin muss es geahnt haben. Am Vorabend hatte sie ein „ehrliches Ergebnis“ vorausgesagt. Sie bekommt nur 845 der 944 gültigen Stimmen, mehr als jeder ihrer Stellvertreter. Und doch ist es das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft und deutlich weniger als die 96,7 Prozent vor zwei Jahren.

Erst wird sie gefeiert, der Beifall will nicht aufhören, mehr als elf Minuten lang. Aber dann kommt die Wahl zur CDU-Vorsitzenden, und das Ergebnis ist ernüchternd. Nur 89,5 Prozent der 1001 Delegierten auf dem Essener CDU-Parteitag stimmen am Dienstag für Angela Merkel. Die Kanzlerin muss es geahnt haben. Am Vorabend hatte sie ein „ehrliches Ergebnis“ vorausgesagt. Sie bekommt nur 845 der 944 gültigen Stimmen, mehr als jeder ihrer Stellvertreter. Und doch ist es das schlechteste Ergebnis ihrer Kanzlerschaft und deutlich weniger als die 96,7 Prozent vor zwei Jahren.

Das war noch vor der Flüchtlingskrise. Hier dürfte auch die Erklärung für den gestrigen Dämpfer liegen. Merkel wird gewählt und darf die CDU anführen, aber zugleich daran erinnert, wie verstörend das Flüchtlingsjahr 2015 und der Dauerstreit der CSU waren und sind.

Mehr Rechenschaftsbericht als Ausblick in die Zukunft

Seit 16 Jahren führt Merkel die CDU an und seit elf Jahren die Bundesregierung. Noch einmal will sie „ins Offene“ gehen, so wie 2000 bei ihrer ersten Wahl zur CDU-Chefin, damals ebenfalls in Essen. „Ins Offene“ gehen, etwas wagen – so hatte sie nach dem Zusammenbruch der DDR erst ihren Wechsel von der Wissenschaft in die Politik empfunden und später ihren Aufstieg zur Parteichefin. Wenn sie 16 Jahre später wieder davon redet, ins „Offene“ zu gehen, dann doch wohl, weil sie auch ihre Kandidatur bei der Bundestagswahl 2017 als Neuanfang empfindet.

„Ich will und werde alles einsetzen, was in mir steckt“, verspricht Merkel. Aber: „Ihr müsst, ihr müsst“, wiederholt die CDU-Chefin, „mir helfen“. Die Bundestagswahl werde schwierig wie keine Wahl zuvor, zumindest seit der Einheit.

Merkel ist kein Motivationsguru. „Viel Nachdenklichkeit“ hört ein CDU-Delegierter anfangs aus ihrer 78-minütigen Rede heraus. So vornehm lässt sich Langeweile umschreiben. Die Vorsitzende spricht über Globalisierung, Digitalisierung, Freihandel, den ausgeglichenen Haushalt. Es ist mehr eine Rechenschaftsrede als ein Ausblick.

Es dauert fast eine Stunde, bis die CDU-Chefin munter wird, zum Schluss sogar emotional. Merkel will die Bereitschaft spüren, sich in den Dienst des Landes zu stellen. „Das gilt auch für mich. Wir wollen Deutschland dienen, ich will Deutschland dienen.“

Dazu muss sie allerdings auch auf ihre Kritiker zugehen. „Eine Situation wie die des Sommers 2015 kann, soll und darf sich nicht wiederholen. Das war und ist unser und mein erklärtes politisches Ziel“, verspricht sie. Ein Signalsatz, der allerdings nur so lange überzeugen wird, solange die Flüchtlingszahlen niedrig bleiben. Auch beim Burka-Verbot, ein weiteres Symbolthema des konservativen Flügels, bedient sie die Stimmung: „Die Vollverschleierung muss verboten werden, wo immer das rechtlich möglich ist.“ Es sind Signalsätze. Bei einigen Delegierten verraucht der Ärger über die Kanzlerin. Aber nicht alle können die Euphorie teilen. Christine Arlt-Palmer aus Stuttgart redet sich den Frust von der Seele. Gut und schön, dass sich das (Flüchtlings-)Jahr 2015 nicht wiederholen soll. Aber eigentlich hätte es gar nicht erst so weit kommen können. „Es hätte nie so passieren dürfen“, ruft sie aus. Sie erinnert auch an die Niederlagen bei Landtagswahlen und daran, dass die Union mit Frank-Walter Steinmeier einen Sozialdemokraten als Bundespräsidenten unterstützen will, obwohl die Christdemokraten die stärkste politische Kraft sind. Solche Statements machen deutlich, dass die CDU nicht mit sich im Reinen ist.

Merkel weiß das: „Ich habe euch auch einiges zugemutet.“ Ihre Rede- und Führungskunst ist die Kunst des Weglassens: Auf den Populismus und die AfD geht sie nur indirekt ein. Kein Wort auch zur Strategie, um den Abwärtstrend der Partei in vielen Ländern zu stoppen, vieles bleibt floskelhaft. Nichts sagt sie auch über mögliche Koalitionspartner nach der Bundestagswahl, nur: Rot-Rot-Grün gelte es zu verhindern.

Die CSU wird einmal mehr mit Nichtachtung gestraft

Die CSU, mit der sich Merkel ein Jahr lang gestritten hat, erwähnt sie erst zum Schluss in einem Appell zur Geschlossenheit. Sie weiß, wie sie die CSU am besten abstrafen kann, mit Nichtachtung. Es seien selten „die vermeintlich einfachen Antworten, die unser Land voranbringen“. Ein Schelm, wer da an die CSU-Forderung nach einer „Obergrenze“ für Flüchtlinge denkt. Merkel ist in der Flüchtlingspolitik so weit zurückgewichen, wie ihre Partei und die CSU es ihr abverlangt haben. Aber es ist mehr ein taktischer als ein gewollter Rückzug aus Überzeugung.

Es ist die alte Merkel, in ihrer Unbeugsamkeit, in ihrer Nüchternheit. Fast verlegen wandelt sie nach ihrer Rede auf der Bühne und winkt den Delegierten zu. Eigentlich kann sie mit dem Budenzauber wenig anfangen. Sie hat bekommen, was zählt: Gefolgschaft.