Der russische Präsident sieht überall Verräter. Darum hat er sich die im Ausland operierenden Spezialeinheiten direkt unterstellen lassen.Dissidenten im Exil fürchten die Killerkommandos auch aus historischer Erfahrung: Der Fall Litwinenko war nicht der e
Moskau. Kein Russland-Thriller kann nicht von der Wirklichkeit noch übertroffen werden. So jedenfalls scheint es nach Enthüllungen über einen offenbar geplanten Anschlag auf Kreml-Gegner Boris Beresowskij in London. Mittlerweile haben hochrangige Mitarbeiter von Premier Gordon Brown - gegenüber der Tageszeitung "Guardian" - bestätigt, dass England gut ein halbes Jahr nach dem Mord an Alexander Litwinenko einen neuen potenziellen Killer abgefangen habe.
Attentate an echten oder eingebildeten russischen Staatsfeinden im Ausland haben eine lange Tradition: vom Mord an Revolutionär und Stalin-Gegner Leo Trotzkij 1940 im mexikanischen Exil über den am ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera 1959 in München bis zum Mord am tschetschenischen Ex-Präsidenten Selimchan Jandarbijew im Februar 2004 im Golf-Emirat Katar.
Wie Trotzkij Jahrzehnte zuvor, wie KGB-Überläufer der Sowjetzeit, wie kürzlich Alexander Litwinenko, stellte Jandarbijew längst keine aktive Gefahr für den Kreml mehr da. Dennoch sprengten ihn zwei Agenten des Militärgeheimdienstes GRU in die Luft - mit Sprengstoff, der in einem Wagen der russischen Botschaft nach Katar geschmuggelt wurde, wie bei dem Prozess ans Tageslicht kam. Der an der Vorbereitung des Mordes beteiligte Erste Sekretär der Botschaft kam nur wegen seines Diplomatenpasses nicht vor Gericht.
Wladimir Putin pflegt, wie zuvor andere Herrscher im Kreml, eine oft paranoide Wagenburgmentalität: In der ist Russland von äußeren Feinden umgeben, von inneren Feinden durchsetzt. Putins Wahn geht so weit, dass der Präsident etwa am 21. Juni russischen Lehrern erzählte, westliche Stiftungen bezahlten Schulbücher, die zur Degradierung Russlands beitrügen. Schon nach der Tragödie in der Schule von Beslan mit hunderten Toten im September 2004 orakelte Putin, der tschetschenische Terror sei ein Instrument ausländischer Mächte. Deren Ziel: der Zerfall Russlands.
Feinde Russlands, vor allem Verräter, gilt es zu vernichten - um fast jeden Preis. Schon zu Beginn seiner Präsidentschaft ließ Putin den Radio Liberty-Reporter Andrej Babizkij wegen kritischer Tschetschenien-Berichte vom Geheimdienst FSB kidnappen. Babizkij wurde wohl nur deshalb nicht ermordet, weil Washington massiv intervenierte.
Im Fall Jandarbijew war der Kreml weniger zimperlich. Die Mörder von Katar waren unmittelbar Russlands Generalstabschef, dem Verteidigungsminister - damals Putins Vertrauter Sergej Iwanow - und dem Präsidenten unterstellt. Die in Katar rechtskräftig verurteilten Mörder wurden erst nach Russland abgeschoben, nachdem Putin den Emir von Katar persönlich bedrängte.
Auch danach hielt der Präsident den Einsatz von Mordkommandos im Ausland für unverzichtbar: Im Juli 2006 - wenige Monate vor dem Mord an Litwinenko - ließ sich Putin vom Parlament das Recht erteilen, nach Belieben den Einsatz von Killern und Spezialeinheiten im Ausland zu befehlen - offiziell zum Schutz der russischen Souveränität, Vernichtung von Terroristen und zum "Schutz der Bürger- und Menschenrechte", wie Putin den Parlamentariern erklärte.
Morde an teils mehr, teils weniger prominenten Kreml-Gegnern im Ausland erfüllen einen weiteren Sinn: Sie schicken eine klare Botschaft an außerhalb ihres Landes lebende Russen, dass sie auch dort nicht sicher sind, wenn sie den Kreml kritisieren.
Nicht zufällig hat Moskau - so englische Sicherheitskräfte gegenüber Londoner Zeitungen - allein an seiner Londoner Botschaft mehr als dreißig Geheimdienstler stationiert: Die spionieren weniger die Engländer aus als mehrere zehntausend ihrer Landsleute, die lieber in London als in Russland leben."Zum Schutz der Menschenund Bürgerrechte"