2004 marschierten Awo-Beschäftigte und Verdi-Gewerkschafter noch Seit' an Seit' gegen den Sozialabbau durch die Agenda 2010. Dann wurde die Arbeiterwohlfahrt zum Sozialkonzern. Jetzt streikt Verdi für einen Tarifvertrag

Essen. Vor nicht allzu langer Zeit marschierten sie noch Seit' an Seit'. 2004, als die Agenda 2010 die Gemüter erregte, fuhren Mitglieder der Arbeiterwohlfahrt (Awo) und der Gewerkschaft Verdi gemeinsam zur Protest-Kundgebung. Viele kennen sich durch die Arbeit vor Ort. Im Schulterschluss schwenkten sie damals die Awo- und die Verdi-Fahnen.

Heute, drei Jahre später, ist die Eintracht Historie. Das Klima zwischen den Organisationen, die sich tief in der Geschichte der Arbeiterbewegung verwurzelt sehen und eng mit der Sozialdemokratie verflochten sind, ist frostig geworden. Der Temperatursturz erreichte im Oktober seinen Tiefpunkt. Da passierte, was bisher kaum denkbar schien: Verdi rief zum Streik gegen den Sozialkonzern Awo auf.

Bundesweit arbeiten mehr als 140 000 Menschen bei der Awo. Darüber hinaus zählt der Verband 100 000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Für 27 000 Awo-Beschäftigte in NRW verlangt Verdi 5,5 Prozent mehr Lohn und eine Einmalzahlung (300 Euro) für die Verdi-Mitglieder in den Belegschaften. Die Awo bot 1,6 Prozent ab Juli 2008, stellt weitere 0,5 Prozent ab Juni 2009 in Aussicht. "Viel zu wenig", sagt Verdi. In acht Verhandlungsrunden kam kein Kompromiss zu Stande. Verdis Aufruf zum Warnstreik fand große Resonanz. In mehr als 120 Seniorenheimen, Kindergärten und anderen Awo-Einrichtungen traten viele hundert Mitarbeiter in den Ausstand.

Die Verbitterung unter den Beschäftigten ist groß. Ende 2004 kündigte die Awo den Manteltarifvertrag. Seither gab es für die Beschäftigten keine Lohn- und Gehaltserhöhungen mehr. Um Kosten zu senken, gliederte die Awo Teile ihrer Unternehmungen aus. In manchen Awo-Kreisverbänden wird das Küchenpersonal nun nicht mehr nach dem Tarif des öffentlichen Dienstes, sondern nach dem viel günstigeren des Hotel- und Gaststättenverbandes bezahlt. Neues Personal stellt die Awo nur ein, wenn es mit einem niedrigeren Einstiegsgehalt und längerer Arbeitszeit einverstanden ist.

Jahrzehnte lang orientierte sich die Awo an den Tarifab-schlüssen des öffentlichen Dienstes. Doch seit Mitte der 90er Jahre mischen auf dem Markt der sozialen Dienstleistungen verstärkt private Anbieter mit. Sie operieren vor allem beim Service-Personal, bei Hausmeistern, bei der Reinigung und in den Kantinen mit niedrigeren Löhnen. Seither sehen sich die Wohlfahrtsverbände unter Druck. Auch die Caritas und das Diakonische Werk haben Probleme, sich gegen die private Konkurrenz zu behaupten.

Zu Wochenbeginn verhandeln Verdi und Awo erneut, um ihren Konflikt zu lösen. Bei der Awo sorgt man sich längst um die Existenz der Einrichtungen. "Wir sparen nicht, um Gewinn zu maximieren, sondern um zu überleben", warnt der langjährige Chef des Awo-Bezirks Niederrhein, Paul Saatkamp, vor zu hohen Forderungen. "Von den Arbeitsbedingungen privater Billiganbieter, die Profit auf den Knochen der Mitarbeiter machen, ist die Awo weit entfernt. Wir könnten aber in eine Lage treiben, wo wir mit den Privaten nicht mehr mithalten und unsere Einrichtungen dann abgeben müssten."