Universität Greifswald erarbeitet Überblick über die verschiedenen Systeme.In Frankreich sind Kinder schon ab zehn Jahren strafmündig. Österreich hat nur eine Jugendjustizanstalt

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© AFP

Brüssel. Deutschland streitet darüber, wie es mit kriminellen Jugendlichen umgehen soll. Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

Die Universität Greifswald arbeitet derzeit mit 40 europäischen Wissenschaftlern an einem EU-Projekt, das einen Überblick über die verschiedenen Jugendstrafrechts-Systeme geben soll. Jedes der 27 Mitgliedstaaten hat seine eigenen Gesetze, seine eigenen Programme zur Prävention und Wiedereingliederung von jugendlichen Straftätern. Einheitliche Standards und Vergleichsdaten fehlen bislang. Das EU-Projekt soll auch zeigen, ob es möglich ist, die Systeme langfristig anzugleichen.

Ein Blick über die Grenzen:

Frankreich Die Bilder von brennenden Autos und Krawallen in französischen Vorstädten gingen um die Welt. Noch vor seinem Amtsantritt im vorigen Jahr hatte Präsident Nicolas Sarkozy versprochen, das Jugendstrafrecht zu verschärfen - und sein Versprechen eingehalten. In Frankreich sind Kinder schon ab zehn Jahre strafmündig - vier Jahre früher als in Deutschland; ab 13 können sie zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Und seit Mitte August 2007 gilt für minderjährige Wiederholungstäter ab 16 das Erwachsenenstrafrecht, wenn sie zum dritten Mal straffällig geworden sind. Wiederholungstäter gehen automatisch ins Gefängnis.

Besonders umstritten sind die Schnellgerichte: Wenn die Polizei Jugendliche auf frischer Tat ertappt, können sie innerhalb weniger Stunden verurteilt werden.

England In der Garnison von Colchester wurden noch bis Mitte der 90er Jahre junge Straftäter gedrillt, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen. Der Plan des damaligen Innenministers Michael Howard war höchst umstritten und wurde wenig später für gescheitert erklärt. Eine 2002 veröffentlichte Studie kam zu dem Schluss, dass die Jugendlichen nach dem harten Regime nicht seltener rückfällig wurden als diejenigen, die an milderen Programmen teilnahmen.

Erziehungscamps haben sich zwar nicht durchgesetzt, dafür aber das Prinzip: viel Härte, wenig Nachsicht. In England ist ein Kind schon mit zehn Jahren strafmündig. 2003 hob die Regierung des früheren Premier Tony Blair eine Regelung auf, die es Richtern ermöglichte, Heranwachsende nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen. Selbst eine lebenslange Haft kann gegen jugendliche Straftäter verhängt werden.

Außerdem verteilt die Polizei schnell Warnungen und Einträge ins Strafregister. Gerichte können zusätzlich zur Strafe der Jugendlichen die Eltern verantwortlich machen und sie zu Erziehungskursen oder Geldbußen verpflichten.

Niederlande Die Niederländer setzten am stärksten auf eine individuell abgestimmte Betreuung. Grundsätzlich beginnt die Strafmündigkeit bereits mit 12 Jahren. Bei schweren Vergehen können Richter schon bei 16- bis 17-Jährigen das Erwachsenenstrafrecht anwenden, die höchste Jugendstrafe liegt bei zwei Jahren Gefängnis. Jugendrichter können die Strafen nach eigenem Ermessen verhängen - je nach Charakter des Jugendlichen und der Tat entscheiden sie sich für Gefängnis, Heim oder für Alternativstrafen wie Gemeinschaftsdienste, gemeinnützige Arbeit oder ein soziales Verhaltenstraining. Wer in einer der 14 staatlichen Jugendgefängnisse sitzt, bekommt einen Betreuer zur Seite, der bei der Wiedereingliederung hilft.

Polen Geschlossene Jugendgefängnisse kennt Polen nicht. Und auch in einem anderen Punkt bildet der Nachbar eine Ausnahme: Für kriminelle Kinder und Jugendliche sind ausschließlich die Familiengerichte zuständig.

Wie in England, werden auch in Polen die Eltern stark in die Verantwortung genommen. Sie müssen zum Beispiel ein Protokoll über die Entwicklung und das Verhalten ihres Kindes führen. Tun sie das nicht, können auch sie bestraft werden. Wenn eine Zusammenarbeit mit ihnen nicht möglich ist, werden ihre Kinder in ein Heim eingewiesen. Anwendbar ist das Jugendrecht für 13- bis 17-Jährige. Allerdings ist die Altersgrenze nicht starr, sie kann je nach Entwicklung des Jugendlichen auf 18 Jahren angehoben oder aber in besonders schweren Fällen, wie zum Beispiel bei Mord oder auch Vergewaltigung, auf 15 Jahren gesenkt werden.

Österreich Die Jugendjustizanstalt liegt in der Nähe von Wien und hat gerade 122 Plätze. Sie ist die einzige des Landes - wer hierher kommt, hat wirklich ein schweres Verbrechen begangen. Ansonsten setzt die Justiz auf das außergerichtliche Gespräch zwischen Tätern und Opfern. Die meisten jungen Straftäter bekommen Bewährungshelfer zur Seite. In den letzten Jahren wurde die Gesetzgebung verschärft: Die konservative Regierung senkte das Alter, in dem ein Straffälliger unter Erwachsenen- statt Jugendgesetz fällt, von 19 auf 18 Jahre ab.