Brüssel. Stevia ist viel süßer als Zucker, enthält kaum Kalorien und gilt in anderen Ländern als Wundermittel – Dennoch kämpft ein belgischer Professor bislang vergeblich um die EU-Zulassung.
Professor Jan Geuns trinkt seinen Tee niemals mit Zucker. Er mag ihn gerne süß. „Aber Zucker ist Gift“, sagt er und verzieht sein Gesicht. Er greift zu einem Päckchen und lässt ein weißes Pulver durch seine Finger rieseln. Es stammt von der Stevia-Pflanze und ist so süß, dass er mit dieser Portion fast den gesamten Campus der Universität versorgen könnte. „Es ist 300 Mal süßer als Zucker, um genau zu sein. Wir brauchen nur ganz, ganz winzige Mengen davon“, erklärt er. Eine Prise reicht für den Tee.
Papierkrieg mit der EU
Es ist ein kalter Winternachmittag, der Biologe sitzt in seinem Büro an der Katholischen Universität in Leuven bei Brüssel. Auf rund acht Quadratmetern türmen sich Ordner, Bücher, Hefte und Kopien; es bleibt kaum Platz, um seine Tasse abzustellen. Die Akten zeugen von einem langen Papierkrieg mit der EU, es sind Anträge und Briefe, Studien und Untersuchungsergebnisse. Seit mehr als zehn Jahren erforscht der Belgier die Süßpflanze aus Paraguay. Sein Ziel, sein größter Wunsch ist, dass sie in Europa zugelassen wird. In Tee, in Kuchen oder Schokolade könnte sie künstliche Süßstoffe und Zucker ersetzen, ist Geuns überzeugt – natürlich und praktisch kalorienfrei. Ein Gramm „Steviosid“ enthält gerade mal 0,21 Kilokalorien. Er glaubt, dass man so gegen die wachsende Fettleibigkeit anrücken könnte, Stevia sei für Diabetiker geeignet und wirke blutdrucksenkend, erklärt er. Doch er muss noch viel Überzeugsarbeit leisten.
EU fordert mehr wissenschaftliche Daten
1999 Jahren hatte Geuns bei der Europäischen Union einen Zulassungsantrag gestellt und war gescheitert – die EU forderte damals mehr wissenschaftliche Daten. Vor zehn Jahren war die so genannte Novel-Food-Verordnung der EU eingeführt worden. Sie sollte Verbraucher vor schädlichen Nahrungsmitteln schützen. Seitdem muss jedes neue Lebensmittel umfangreiche Untersuchungen bestehen, um in der EU verkauft werden zu dürfen. Darunter fällt auch Stevia.
Es müsse belegt werden, dass die Inhaltsstoffe tatsächlich sicher sind, begründete die EU ihre Auflagen. Es sei noch unklar, wie sie sich auf Blutzucker und Blutdruck auswirken. Außerdem könnten die Stoffe vielleicht das Erbgut schädigen, die männliche Fruchtbarkeit einschränken und Krebs auslösen. „Wir können inzwischen das Gegenteil beweisen“, sagt Geuns. Seit 1999 hat es weitere Untersuchungen zu den süßen Stoffen des Krauts gegeben, den so genannten Sterviol-Glykosiden. So haben zum Beispiel Studien des medizinischen Instituts an der Universität von Asunción ergeben, dass Stevia sogar positiven Einfluss auf die Gesundheit hat. Es wirkt entzündungshemmend und antibakteriell.
In einigen Ländern bereits zugelassen
Tatsächlich hatte 2004 selbst die Weltgesundheitsorganisation WHO die Inhaltsstoffe der Pflanze in bestimmten Mengen als unbedenklich eingestuft – einige wissenschaftliche Untersuchungen müssten allerdings noch nachgereicht werden. Auch in Japan, in Korea, Mexiko, Senegal, Australien und Neuseeland ist Stevia bereits zugelassen. In Japan hat es sogar schon rund 30 Prozent des Süßstoffmarktes erobert, es wird Limonaden und vielen Lebensmitteln beigefügt.
Inzwischen horcht auch die Getränke- und Lebensmittelindustrie auf: Coca-Cola hat sich bereits mit dem Nahrungsmittelkonzern Cargill einen Süßstoff auf Stevia-Basis patentieren lassen. Doch Geuns fürchtet, dass sich vor allem die Zucker-Lobby gegen eine Einführung der Pflanze auf dem europäischen Markt sträubt.
Im Sommer hat er einen zweiten Zulassungs-Antrag bei der EU eingereicht. Auf eine Antwort wird er noch mehrere Monate warten müssen; dennoch ist er zuversichtlich, dass es diesmal klappen wird. „Es gibt einfach keine Gründe mehr, Stevia am europäischen Markt zu verbieten.“