In einer außergewöhnlich emotionalen Debatte im Bundestag verteidigte sich der Fraktionschef der Linken gegen Stasi-Vorwürfe. Rufe nach Rücktritt

Gregor Gysi verlässt am Mittwoch im Bundestag nach seiner Rede das Pult. Foto: ddp
Gregor Gysi verlässt am Mittwoch im Bundestag nach seiner Rede das Pult. Foto: ddp © ddp

Berlin. Er kam, als die Debatte im Bundestag längst begonnen hatte - und ging, noch bevor sie endete. Gregor Gysi, Vorzeigepolitiker der Linkspartei, betrat das Plenum, als Jörg Tauss, der SPD-Abgeordnete am Rednerpult, gar nicht mehr damit gerechnet hatte. "Beide kneifen", warf der Sozialdemokrat Linken-Fraktionschef Gysi und seinem Kompagnon Oskar Lafontaine vor. Kurz darauf zeigten sich beide dann doch.

Es waren Union und SPD, die eine "aktuelle Stunde" im Parlament zu den Stasi-Vorwürfen gegen Gysi beantragt hatten. In einer ungewöhnlich emotionalen Debatte ging es um die Anschuldigung, Gysi sei zu DDR-Zeiten als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Staatssicherheit tätig gewesen und habe seinen damaligen Mandanten Robert Havemann, einen Regimekritiker, an den Geheimdienst verraten. Auch im Bundestag wies Gysi den Vorwurf zurück. "Ich brauchte keine Kontakte zur Staatssicherheit", las der sonst zur freien Rede neigende Jurist aus einem vorbereiteten Manuskript ab. Gysi sprach von einem "traurigen Schauspiel" und über seine ohnehin angeschlagene Gesundheit. Seinen Kritikern hielt er im Bundestag vor: "Vom Leben eines Anwalts in der DDR haben sie schlicht und einfach keine Ahnung."

Wie sich Gregor Gysi tatsächlich als Anwalt im Unrechtsstaat verhalten hat, steht im Zentrum der Diskussion über Schuld oder Unschuld des populären Linken-Politikers, der stets beteuerte, er habe "zu keinem Zeitpunkt wissentlich und willentlich mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet".

Für Marianne Birthler, die Leiterin der Stasi-Unterlagenbehörde, ist dagegen eine Verstrickung Gysis in die Arbeit der Stasi klar erkennbar. Birthler teilte mit, dass es in ihrem Hause Unterlagen zu einem IM gebe, der "nach Aktenlage" nur Gregor Gysi gewesen sein könne. Die Vorwürfe, die nun neue Brisanz erhalten, beziehen sich auf Gespräche mit dem DDR-Dissidenten Havemann im Jahr 1979. Zur Begründung dafür, weshalb er Kontakte zur Stasi "gar nicht nötig" gehabt habe, erklärte Gysi im Bundestag, er habe im Zusammenhang mit seiner anwaltlichen Tätigkeit für Havemann lediglich Gespräche mit dem Zentralkomitee der SED geführt. "Sie begreifen nicht, dass ich damals schon so souverän war wie heute", sagte Gysi.

Robert Havemanns Sohn Florian Havemann nahm Gysi in Schutz. "Unabhängig von der Frage, ob Herr Gysi IM war, was ich nicht beurteilen kann, hat er im Sinne unseres Vaters gehandelt", sagte Havemann der "Mitteldeutschen Zeitung". Sein Vater habe über Gysi eine Verbindung zur Parteiführung herstellen wollen. Das sei Gysi gelungen. "Ab dem Zeitpunkt, als er Anwalt unseres Vaters war, hat es keinen Prozess mehr gegeben."

Der CDU-Abgeordnete Thomas Strobl, der auch Vorsitzender des Immunitätsausschusses im Bundestag ist, legte Gysi den Rückzug aus der Politik nahe. "Der Abgang ist überfällig", sagte Strobl. Der FDP-Parlamentarier Christoph Waitz sprach von einer "erdrückenden Aktenlage" gegen Gysi.

Der so gescholtene hatte schon vor der Bundestagsdebatte als Motiv seiner Kritiker vermutet: "Ihre Hoffnung ist, dass ich rausgehe aus der Politik." Damit dürfte Gysi nah bei der Wahrheit liegen.