Die frühere First Lady ist noch nicht in der Realität ihrer Niederlage angekommen. Doch selbst ihre Freunde planen jetzt schon den stilvollen Rückzug für die gescheiterte Kandidatin
Washington. Für den Tag danach waren keine Veranstaltungen geplant. Das heißt nicht, dass die Kandidatin faulenzen wollte. Der wahlkampffreie Tag wird für Strategiesitzungen gebraucht, für Anrufe bei Finanziers, für Fernseh-Interviews und für die Aufzeichnung neuer Wahlwerbe-Spots. Doch spät in der Wahlnacht änderte Hillary Clinton die Planung. Sie sagte ihren völlig verblüfften Beratern, dass sie schon am nächsten Tag, also nur Stunden später, wieder auf einer Wahlkampfbühne stehen wolle, egal wo. Nachts um drei Uhr organisierten ihre Helfer in hektischen Telefonaten den Auftritt im 800 Kilometer entfernten West Virginia. Um zwölf Uhr mittags stand Hillary Clinton auf der Bühne und erklärte, wie sie als Präsidentin Amerika verändern will.
Die kleine Geschichte sagt viel über die Psychologie am Ende des parteiinternen Dauerwahlkampfes. Hillary Clinton will Unmögliches erzwingen, sie kann nicht aufgeben, und je schlechter es aussieht, desto mehr Druck macht sie. Sie glaubt immer noch, sie müsse sich nur noch etwas mehr anstrengen, dann werde es schon klappen, Barack Obama zu schlagen, die Kandidatur zu erringen, die Wahl zu gewinnen und als erste Frau im Präsidentenamt in die Geschichte einzugehen. Das war und ist ihr Lebenstraum seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten. Alles eine Frage der Entschlossenheit. Die Welt als Wille und Vorstellung.
Doch in dieser Welt lebt die frühere First Lady nun fast allein. Selbst ihre treuesten Fans und Verbündeten haben verstanden, was sie nicht begreifen kann: Es ist vorbei. Der Traum ist ausgeträumt. Barack Obama wird Kandidat der Demokraten. Da hilft kein Zweckoptimismus und kein Durchhalteritual. Da kann sie aus sich selbst und ihren Mitarbeitern noch mehr Leistung herausquetschen und ihren Nachtschlaf von fünf auf drei Stunden reduzieren. Die Würfel sind gefallen, und alle außer ihr wissen es. "Ich war geschockt, als ich Chelsea Clinton beobachtet habe", sagt der Kommentator David Ger-gen, "sie stand dort mit gebrochenem Herzen und hat ihre Mutter angeschaut, die immer noch so redet, als könne sie gewinnen. In Chelseas Gesicht konnte man die Niederlage ablesen. Sie hat ihre Mutter mit Mitleid angesehen."
Mitleid. So weit ist es schon gekommen. Das liegt daran, dass die meisten Amerikaner in den letzten anderthalb Jahren eine neue Sympathie, jedenfalls aber einen neuen Respekt für Hillary Clinton gewonnen haben. Nach anderthalb Jahren Dauerwahlkampf hat die Niederlage etwas Dramatisches, und selbst alte Erzfeinde beobachten nicht nur mit Häme, sondern auch mit Rührung den Niedergang einer politischen Gigantin.
Mit viel mathematischer und politischer Fantasie ist ihr Sieg immer noch möglich. Aber seit dem schwachen Abschneiden am Dienstag ist auch die Zeit der Fantasiespiele vorbei. "Das Ende der Ära Clinton" titelte die New York Times jetzt ohne Hemmungen. Das Wall Street Journal sprach vom "Leben ohne die Clintons".
Und Barack Obama verordnete sich selbst und seinen Mitarbeitern ein ungewöhnliches Redeverbot. Man wolle den Druck auf Hillary Clinton nicht weiter erhöhen und ihr "Platz lassen, ihre eigene Entscheidung zu treffen", hieß es aus dem Beraterkreis.
Sicher ist, dass Obama gedanklich einen Schritt weiter ist als Hillary Clinton. Er plant zwar auch die nächsten Wahlkampfauftritte, aber nicht mehr nur in den Staaten, in denen noch Vorwahlen stattfinden. Er hat jetzt den Wahlkampf gegen John McCain begonnen.