Der gesamte öffentliche Dienst schloss sich den Eisenbahnern für einen Tag an. Auf den Pariser Straßen geht es immer ruppiger zu, weil in der Metro das Chaos regiert. Gewerkschaften gesprächsbereit
Paris. Nach Tagen im Dauerstau gehen manchem längst die Nerven durch. Dass sich der Motorrollerfahrer so dreist durch die Blechlawinen schlängelte, dabei ihre Außenspiegel leicht touchierte, brachte die Autofahrer auf der Seine-Brücke in Sicht des Eiffelturms auf die Palme. Kurzerhand packten sich die beiden Männer das Zweirad - und schmissen den Roller mit vereinten Kräften in den Fluss. Zunehmend ruppig geht es zu auf den Pariser Straßen, seit unter der Erde das Chaos regiert.
Ohne Vorwarnung stoppt die Metro, lässt die ratlosen Fahrgäste auf dem Bahnsteig zurück, die nun sehen können, wie sie weiterkommen. Mancher braucht auf diese Weise bis zu drei Stunden, um abends nach Hause zu kommen. Nach einer Mütze Schlaf geht der Stress dann in umgekehrter Richtung wieder los. Nur Großbetriebe haben Zimmer in der Stadt angemietet, um ihren Beschäftigten solche Zumutungen zu ersparen. Gestern setzten Frankreichs Beamte noch eins drauf und traten ebenfalls in einen - freilich auf 24 Stunden befristeten - Ausstand.
Während die Eisenbahner dafür streiten, nach wie vor mit 50 oder 55 Jahren in Rente gehen zu können, fordern die Beamten höhere Löhne und den Verzicht der Regierung, 23 000 Stellen im nächsten Jahr einzusparen. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will dem aufgeblähten öffentlichen Dienst des Landes ans Leder. Jeder fünfte Beschäftigte im Land arbeitet bei Vater Staat, das ist eine der höchsten Quoten in Europa. "Weniger, dafür besser bezahlte Beamte", ist das Ziel. Die Staatsdiener, von denen gestern viele ihren Arbeitsplätzen an Schulen und Postämtern, in Flughafen-Towern und Krankenhäusern fernblieben, fühlen sich indes verhöhnt. Schon heute verdienen sie oft weniger als ihre europäischen Kollegen, was selbst Budgetminister Eric Woerth gestern einräumte.
Ganz gegen seine Gewohnheit verzichtet derweil Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy darauf, sich öffentlich in den laufenden Sozialkonflikt einzuschalten, der das Land seit nunmehr einer Woche im Griff hält. Vor zehn Tagen zuletzt hatte Sarkozy seinen Willen bekräftigt, die bislang üblichen Frühverrentungen bei der Bahn, bei Nahverkehr und Energieversorgern abzuschaffen.
Ohnehin war der Streik bei Bahn und Metro aus Sicht des Elysée angesichts der "Zumutungen" die in der Reform stecken, wohl kaum vermeidbar. 2003, bei der letzten Rentenreform, hatten die Eisenbahner sogar 17 Tage gestreikt und das Land lahmgelegt. Dass sich die Gewerkschaften im aktuellen Konflikt wiederum schon seit Tagen gesprächsbereit geben, werten Sarkozys Zuarbeiter daher schon als halben Sieg. Sie gehen davon aus, dass selbst die mächtige CGT-Gewerkschaft das Kernstück der Reform schluckt, wonach etwa auch Bahn-Beschäftigte künftig 40 statt bislang 37,5 Jahre Beiträge für eine Vollrente zahlen müssen. Eine bittere Pille ist das für die Gewerkschaften, die freilich durch höhere Löhne versüßt werden soll. Bis zu 100 Millionen Euro wollen allein die Pariser Verkehrsbetriebe an ihre Beschäftigten ausschütten. Am heutigen Mittwoch sollen die Verhandlungen beginnen, auch wenn viele Eisenbahner gestern nach wie vor noch nicht daran dachten, die Arbeit wieder aufzunehmen. Über die Empfehlungen ihrer eigenen Spitze setzen sie sich schon seit Tagen hinweg, nehmen in Kauf, dass der ohnehin magere Rückhalt in der öffentlichen Meinung noch weiter schwindet.