Essen. Ein Gespenst geht um in Deutschland. Seine Name: Rot-Rot. Ist eine Koalition von SPD und Linkspartei im Bund längst ausgemachte Sache? - Politikredakteur Walter Bau analysiert die neue Gemengelage nach den Landtagswahlen in Thüringen und im Saarland in seinem Politblog: der Baustelle.
Ausgerechnet Frank-Walter Steinmeier. Ausgerechnet der Mann, der als enger Vertrauter und Chef-Stratege von Kanzler Gerhard Schröder zu rot-grünen Regierungszeiten in Berlin die Agenda 2010 maßgeblich mit verfasste, ausgerechnet er soll nun die SPD in das Bündnis mit der Linkspartei führen. Wenn nicht alle Signale aus Erfurt und Saarbrücken täuschen, werden hier wie dort künftig rot-rot(-grüne) Regierungen das Sagen haben.
Von Schmuddelkindern zu Partnern
Die Linken – von den Schmuddelkindern der Politik, mit denen man nicht spielt, auf dem Weg zu Partnern am der Kabinettstisch. Das erinnert an die Anfangszeit der Grünen zu Beginn der 80er Jahre. Holger Börner, gelernter Bauarbeiter und seinerzeit SPD-Regierungschef im damals noch tiefroten Hessen, wollte die aufmüpfigen Ökos eigentlich mit der Dachlatte in Schach halten. Später holte er die Grünen dann doch in seine Regierung - und machte die Partei salonfähig bis hin zur späteren Regierungsbeteiligung im Bund.
Damals Hessen, demnächst Thüringen und/oder das Saarland?
In beiden Ländern deutet viel darauf hin, dass SPD und Linkspartei künftig gemeinsam auf der Regierungsbank sitzen werden. Dass die Grünen an der Saar den Steigbügelhalter für eine erweiterte schwarz-gelbe Regierung spielen werden, ist sehr unwahrscheinlich. Zumindest wäre dies mit dem Wahlverlierer Peter Müller an der Spitze kaum machbar.
Intern schon geeinigt
Und in Thüringen darf man spekulieren, dass Christoph Matschie von der SPD und Bodo Ramelow, Frontmann der Linkspartei in Erfurt, sich intern längst auf ein gemeinsames Bündnis geeinigt haben. Das öffentliche Schachern der beiden Protagonisten um den Posten des Ministerpräsidenten dürfte nicht viel mehr als Schattenboxen sein.
Sind Thüringen und das Saarland, wenn es denn so kommt wie beschrieben, die Vorboten von Rot-Rot im Bund? Vieles deutet darauf hin, dass dieses Farbenspiel in der SPD immer mehr zu einer konkreten Überlegung wird. Die Frage ist nur: Wann springt die SPD?
Direkt nach der Bundestagswahl ist kein rot-rotes Bündnis denkbar. Dagegen sprechen eindeutige Beschlüsse der SPD-Gremien; diese kurzfristig zu kippen, würde die Partei gänzlich unglaubwürdig machen. Außerdem stünde die Personalie Oskar Lafontaine, der frühere SPD-Vorsitzende und heutige Linken-Chef dem im Wege. So mancher in der SPD-Spitze hat Lafontaine die Flucht aus der Verantwortung 1999 immer noch nicht verziehen.
Schwarz-Rot platzen lassen
Ein mögliches Szenario: Kommt es nach dem 27. September zu einer Neuauflage der Großen Koalition, weil es für CDU und FDP doch nicht reicht, könnten die Sozialdemokraten die Koalition mit der Union nach einer Schamfrist platzen lassen, um dann ein rot-rot-grünes Bündnis zu organisieren - möglicherweise ohne die Protagonisten Müntefering und Lafontaine. Oder aber das Projekt Rot-Rot wird auf das Jahr 2013 verschoben. Dann möglicherweise mit einem SPD-Spitzenkandidaten Klaus Wowereit.
Spannend ist in diesem Zusammenhang die Lage in Nordrhein-Westfalen, wo im Mai kommenden Jahres ein neuer Landtag gewählt wird. SPD-Landeschefin Hannelore Kraft hält sich die Option einer Zusammenarbeit mit den Linken ausdrücklich offen. Das ist zum Teil Taktik, um den Druck auf CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers aufrecht zu erhalten; zum anderen sieht Kraft in einem rot-rot-grünen Bündnis aber auch eine reale Perspektive für die Zeit nach der Wahl. Käme es dazu, wäre Rot-Rot im bevölkerungsreichsten Bundesland womöglich eine Steilvorlage für Berlin.