Essen. . Höhere Bordsteine, Spielplätze als Auffangbecken: Experten raten dringend zu Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels im Revier.

Dieser Sommer vor acht Jahren war vielleicht eine Vorwarnung. Am 26. Juli 2008 schwitzten die Dortmunder erst unter strahlender Sonne. Stunden später, nach gewaltigen Wolkenbrüchen mit 200 Liter Regen auf den Quadratmeter, schwammen Autos weg und standen Keller unter Wasser. Ein Millionenschaden. Zwei Wochen darauf eine tragische nächste Runde. In Arnsberg ertrank ein 61-Jähriger, bei Willich überlebten 35 Schafe die plötzlich einsetzenden Wassermassen nicht.

Seither haben die Menschen an Rhein und Ruhr den Begriff „Starkregen“ noch weit öfter hören müssen. An Starkregen, sagt Guido Halbig, der die Außenstelle des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Essen leitet, werden wir uns gewöhnen müssen.

Ballungsräume sind besonders von Extremniederschlägen betroffen

Seit 1970 hat sich die Zahl der schadensrelevanten Naturkatastrophen verdreifacht. Allein 2013 beliefen sich die Schäden auf zehn Milliarden Euro. Das wird sich zuspitzen. Halbig: „Die normalen Niederschläge werden im Sommer abnehmen und im Winter zunehmen. Aber es wird zu schweren Extremniederschlägen kommen“. Der Grund: steigenden Durchschnittstemperaturen infolge des Klimawandels.

Ballungsräume sind besonders gefährdet, glaubt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Es nennt in seinem Handbuch für Bürger und Behörden („Die unterschätzten Risiken Starkregen und Sturzfluten“) gezielt das Ruhrgebiet und „Orte entlang der Rheinschiene“. Das Schlimme: Gefährliche, oft lokal begrenzte Unwetter sind kaum vorhersagbar. „Ich weiß, dass eine Gewitterlage da ist. Wo genau, weiß ich nicht“, sagt der Meteorologe. „Wir arbeiten heftig daran, besser zu werden.“

Vorwurf: Städte versuchten, Karten bedrohter Gebiete geheim zu halten

Halbig und die Experten des Bundesamtes wollen die Kommunen überzeugen, mehr auf den nächsten Groß-Guss vorbereitet zu sein. Denn die Gefahr durch Wolkenbrüche oder anhaltenden Starkregen ist groß. Harmlose Bäche können blitzschnell gewaltig anschwellen. Rechtliche und vorbeugende Vorschriften fehlen in solchen Fällen und das nötige Geld für Investitionen. „Es gibt zu viele bürokratische Hürden“, sagt Halbig. Auch versuchten Städte, Karten bedrohter Gebiete geheim zu halten, um Grundstückspreise nicht unter Druck zu setzen.

Die zentrale Botschaft der Warner: Stadt- und Ortsbilder werden vom Umbau, der den Klimaveränderungen geschuldet ist, nicht verschont bleiben. „Ein größeres Kanalnetz ist nicht die Lösung“, sagt Halbig. Wichtiger: Spielplätze werden so angelegt, dass sie im Fall von Starkregen als Auffangbecken genutzt werden können. Tunnel und Unterführungen müssten zeitweise zu Seen werden können und Durchgangsstraßen mit höheren Bordsteinen versehen werden.

Bereits leichte Hanglagen gefährlich

Woran es aber vor allem fehlt: An Freiflächen, in denen die feuchten Massen langsam versickern. Dafür müssten die Gesetze geändert werden. Regenwasser ist heute als Schmutzwasser definiert. Schmutzwasser aber darf nicht versickern. Man brauche einfach die „Schwamm-Stadt“, sagt der Essener Meteorologe, um die verhängnisvolle Überflutung der Kanäle und damit von Kellern und Häusern zu verhindern. Er lobt deshalb jüngste Projekte im Ruhrgebiet: die Anlage des Phoenix-Sees in Dortmund, der im Ernstfall viel Wasser schlucken kann, und auch die geschaffenen Freiflächen beim Bau der Thyssen/Krupp-Zentrale und der Universität in Essen.

Wilfried Koch vom Bonner BBK sagt, auch die Hauseigentümer könnten einiges für den Schutz vor Starkregen tun: Mit dem Einbau einer Rückstausicherung in den häuslichen Abwasserkanal und mit 15 bis 20 Zentimeter erhöhten Eingangsbereichen. Bereits leichte Hanglagen, die auf das Haus zuführen, könnten zu massivem Wassereinfall führen.

Land wirbt für Elementar-Versicherung gegen Sturm und Hochwasser 

Nur 36 Prozent der Haushalte in NRW sind gegen sogenannte Elementarschäden wie Hochwasser, Sturm oder Hagelschlag versichert. Darauf weist die Landesregierung in einer gemeinsamen Informationskampagne mit Verbraucherzentrale und Versicherungswirtschaft hin. „Es ist erschreckend, dass sich viele Menschen nicht abgesichert haben“, sagte Umweltminister Johannes Remmel (Grüne). Privathaushalte und Teile der Landwirtschaft seien hier nachlässig. Durch den Klimawandel könnten Naturkatastrophen wie Stürme und Starkregen wie zuletzt im Frühjahr deutlich häufiger vorkommen.

Landesregierung und Versicherer betonten, dass grundsätzlich 99 Prozent aller Gebäude in NRW versichert werden könnten. Die Kosten richteten sich etwa nach der lokalen Hochwasser-Wahrscheinlichkeit und lägen zwischen 100 und 800 Euro pro Jahr. Allein 20 Prozent der NRW-Haushalte leben dabei in der teuersten Zone, in der es statistisch alle zehn Jahre zu Hochwasser kommen kann.

Der Vorsitzende der Verbraucherzentrale NRW, Wolfgang Schuldzinski, rief dazu auf, die Angebote der Versicherungen genau zu studieren. Das Land hat eine Internet-Seite zum Thema eingerichtet: www.elementar-versichern.nrw.de