Paris. Im Rennen bei Frankreichs Republikanern setzt sich Fillon klar durch. Er könnte der rechtsextremen Marine Le Pen gefährlich werden.

Auf die Riesenüberraschung im ersten Wahlgang folgte im entscheidenden Stechen die Bestätigung dessen, was noch vor 15 Tagen undenkbar schien: Am Sonntag hat der krasse Außenseiter François Fillon das Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der konservativen „Republikaner“-Partei gewonnen – und zwar deutlich: Nach Auszählung von gut 90 Prozent aller Wahlbüros lag Fillon am Abend uneinholbar bei rund 67 Prozent.

Gut möglich sogar, dass sich die Franzosen, die en masse an den offenen Vorwahlen des bürgerlichen Lagers teilnahmen, gestern bereits ihren neuen Präsidenten ausgeguckt haben. Denn „Mister Nobody“, wie Ex-Staatschef Nicolas Sarkozy seinen früheren Ministerpräsidenten verächtlich nannte, hat gute Chancen, im Mai 2017 tatsächlich den Elysée-Palast zu erobern.

Fillon galt als Mann der zweiten Reihe

Wobei der 62-jährige Fillon eben alles andere als ein Nobody ist. Immerhin versah der Verwaltungsfachmann fünf Ministerämter, bevor er 2007 Regierungschef wurde. Schon dass er sich in diesem Amt, das als Schleudersitz par excellence gilt, fünf Jahre halten konnte, spricht Bände. Der mit allen Wassern gewaschene Polit-Profi galt wegen seines Hangs zur Diskretion bis dahin stets als ein Mann der zweiten Reihe.

Immer noch fragen sich Frankreichs Medien, wie der angeblich so bodenständige Sohn eines Notars in kürzester Zeit dermaßen an Statur zulegen konnte. Dabei muss man nach der Antwort gar nicht allzu lange suchen. Fillon nämlich hat seinen Griff nach der Präsidentschaftskandidatur von sehr langer Hand vorbereitet. Seit drei Jahren bereits tingelte er durch die Dörfer und Kleinstädte des Landes. Er ging dorthin, wo er selber herkommt und wo sich seine Konkurrenten nie blicken ließen: in die tiefste Provinz, wo das traditionelle Frankreich zu Hause ist.

Um die schweigende Mehrheit gekümmert

Mit anderen Worten: Fillon hat sich schon lange um jene schweigende Mehrheit gekümmert, die – in Frankreich wie in Großbritannien oder in den USA – offenbar beständig unter dem Radar der Meinungsforscher dahinsegelt. Und links des Rheins ist diese schweigende Mehrheit nicht nur stramm konservativ, sondern genauso katholisch und traditionsverbunden wie der Neogaullist Fillon, der nichts weniger will als eine „konservative Revolution “.

Vielleicht war es ja das auf seiner langen Ochsentour gefestigte Bewusstsein Fillons, die Basis des rechten Lagers im Rücken zu haben, die ihn bei den Vorwahlen so gelassen und staatsmännisch auftreten ließ. Besonders deutlich wurde das vergangenen Donnerstag beim Fernsehduell mit seinem Stichwahl-Rivalen Alain Juppé (71). Der Bürgermeister von Bordeaux, ebenfalls ein erfahrener Ex-Minister und Ex-Premier, setzte auf die Öffnung zur Mitte.

Juppé führte Umfragen an

Juppé wollte über das konservative Lager hinaus wählbar sein und hatte auch deswegen seit 15 Monaten alle Umfragen angeführt. Doch der vermeintliche Favorit kam mit seiner neuen Rolle als Herausforderer ebenso wenig klar wie mit der in der ersten Wahlrunde klar zu Tage getretenen Erkenntnis, dass die bürgerlichen Wähler keine Kompromisse sondern klare Kante wünschen. Juppé wirkte überfordert und nervös, Fillon hingegen so „präsidial“ abgeklärt, als wäre er schon Staatschef.

Wirtschaftsliberal gaben sich alle rechten Anwärter auf die Präsidentschaftskandidatur, aber keiner geht so weit wie Fillon mit seinem Schock-Programm. Er will innerhalb von fünf Jahren eine halbe Million Beamtenstellen abbauen, die Wochenarbeitszeit von 35 auf 39 Stunden erhöhen, die Sozialabgaben und Steuern der Unternehmen drastisch senken, das Rentenalter von 62 auf 65 Jahre anheben und das Arbeitslosengeld spürbar kürzen.

Fillon will das Land brachial reformieren

Bleibt die Frage, ob die Ansage einer solchen Rosskur nicht die Wähler der Mitte zu verprellen droht, die jeder linke oder rechte Kandidat am Ende braucht. Und ob der „Brachial-Reformer“ Fillon eine Mehrheit der Franzosen gegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen in Stellung bringen kann, auf die er im Stichwahlgang um die Präsidentschaft zu stoßen droht und die als Anwältin des von den Pariser Eliten „vergessenen Frankreichs“ auftritt.

In beiden Fällen hatten die Beobachter Juppé bessere Aussichten eingeräumt – und dabei zumindest einen Punkt übersehen: Gerade das vergessene Frankreich hat Fillon unermüdlich beackert. Es ist also keineswegs ausgeschlossen, dass sein Ohr näher an Volkes Stimme liegt als das der Chefin des Front National.