Essen. . Wegen angeblicher Tricksereien bei der Aufstellung der Kandidaten für die Landtagswahl lädt der NRW-Chef der AfD eilig zum Krisentreffen in Essen ein.

Die Gaststätte „Sternquelle“ ist ein Sinnbild ruhrgebietstypischer Gediegenheit. Rustikal in der Einrichtung, mit Kegelbahn und kleinem Veranstaltungssaal liegt die Kneipe eher unauffällig im Schatten des großen Verwaltungsturms des Energiekonzerns RWE. Freitagabend wurde die Gaststätte Ort eines eher ungewöhnlichen Schauspiels. Marcus Pretzell, Landeschef der rechtspopulistischen AfD, hatte hierhin kurzfristig Bezirks- und Kreissprecher seiner Partei eingeladen. Der größte AfD-Landesverband steckt tief in der Krise. Pretzell wollte wohl seine Mannaschaft auf Kurs bringen.

Eigentlich könnte sich die AfD an Rhein und Ruhr entspannt geben. Der NRW-Ableger der umstrittenen Rechtspopulisten hat gute Chancen, bei der Wahl am 14. Mai 2017 erstmals in den Landtag des einwohnerstärksten Bundeslandes einzuziehen. Umfragen sehen die Partei an Rhein und Ruhr zwischen neun und zwölf Prozent.

In der AfD rechnet man so fest damit, die etablierten Parteien in NRW künftig auch von den Düsseldorfer Parlamentsbänken Paroli bieten zu können, dass einzelne Mitglieder schon Fakten schaffen. Wie der „Spiegel“ am Freitag berichtete, soll ein AfD-Kandidat aus NRW bereits Posten an Mitarbeiter vergeben haben – als „Mitglied des 19. Deutschen Bundestages“ oder „Mitglied des 17. Landtages in NRW“ und einen „Vor-Arbeitsvertrag“ geschlossen haben.

80 Seiten Chat-Protokolle

Doch nun scheint die Affäre um angebliche Tricksereien, geheime Chat-Protokolle und verschwundene Stimmzettel bei der Wahl zur Landesliste beim Wahlparteitag Anfang September in Soest die AfD in höchste Not zu bringen. Vorstandsmitglied Renate Zillessen erwägt bereits, den Landeswahlleiter zur Überprüfung der Vorgänge zu Rate zu ziehen. Offenbar ist man sich im Landesvorstand nicht sicher, welche Sprengkraft der Inhalt der Chat-Protokolle einer parteiinternen Gruppierung im Hinblick auf die Wahlzulassung hat.

Die WhatsApp-Gruppe soll bei der Landesdelegiertenkonferenz in Soest versucht haben, ihnen genehme Kandidaten auf die Liste für die Landtagswahl zu bringen. Dem NRW-Vorstand sei ein 80-seitiges Protokoll des Chat-Verlaufs zugespielt worden, sagte Zillessen. Vieles davon bewege sich im Rahmen üblicher Spielregeln. Zillessen sprach aber auch von einigen „Grenzfällen“, bei der möglicherweise eine Wahlbeeinflussung nicht ausgeschlossen werden könne.

Zudem hat sich laut Zillessen ein Mitglied der Zählkommission „geoutet“, auf Anweisung eines anderen Parteimitglieds fünf Stimmzettel vernichtet zu haben. „Wir wollen kein Risiko eingehen“, begründete Zillessen die mögliche Überprüfung der Vorgänge durch den Landeswahlleiter.

Pretzell : „Fall für den Staatsanwalt“

Vorstandsmitglied Zillessen sprach von einer „hochdramatischen“ Situation und einer angespannten Atmosphäre innerhalb der Landes-AfD. Eine Angelegenheit, die zunächst nach Petitesse aussah, habe sich zu einem handfesten Machtkampf entwickelt. Wie brisant die Lage eingeschätzt wird, zeigt auch der hitzige Austausch in einer geschlossenen Facebook-Gruppe, über den mehrere Medien berichten. Pretzell ist am Chat beteiligt. Er bezeichnet die Vernichtung der Stimmzettel als Fälschung eines Wahlgangs und als einen „Fall für den Staatsanwaltschaft“.

Hintergrund der Affäre ist ein seit Monaten andauerndes Gerangel um Machtpositionen innerhalb der AfD in Bund und Land. Der Landesverband ist tief gespalten. Marcus Pretzell erhielt bei seiner Wahl als Spitzenkandidat nur 54 Prozent der Stimmen. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke und Bundesvize Alexander Gauland zweifeln die Rechtmäßigkeit der NRW-Kandidatenwahl gleich ganz an. Die beiden Vertreter des ultrakonservativen AfD-Flügels gelten als Gegenspieler von Parteichefin Frauke Petry. Sie ist die Lebensgefährtin von Marcus Pretzell.

>> LANDESWAHLLEITER MISCHT SICH NICHT EIN

Der Landeswahlleiter will sich in die aktuellen Querelen in der Landes-AfD derzeit nicht einmischen.

Das Aufstellungsverfahren stelle einen innerparteilichen Prozess dar, bei dem „allerdings elementare demokratische Grundsätze, wahlrechtliche Vorschriften und die eigenen Satzungsbestimmungen von den Parteien zu beachten“ seien, teilte das Innenministerium auf Anfrage mit. Die Landeslisten für die Landtagswahl 2017 müssen bis zum 48. Tag vor der Wahl – dem 27. März 2017 – beim Landeswahlleiter vorliegen.