Berlin.
Es ist Gewalt, die oft im Verborgenen bleibt. Schläge oder Tritte, von denen niemand erfährt, weil Menschen dort Opfer werden, wo sie eigentlich Schutz finden sollen: im eigenen Zuhause. In den allermeisten Fällen von häuslicher Gewalt sind Frauen Ziel der Angriffe. Bisher gab es Statistiken wie etwa von der Weltgesundheitsorganisation WHO, die beschrieben, wie 40 Prozent der Frauen in Deutschland seit ihrem 16. Lebensjahr sexuell missbraucht oder geschlagen wurden. Doch Polizeistatistiken fehlten bisher.
Raus aus dem Dunkelfeld
Erstmals veröffentlicht nun das Bundeskriminalamt Zahlen zu diesen Straftaten. Bundesregierung, Hilfsvereine und die Polizei wollen diese Delikte in Partnerschaften aus dem Dunkelfeld der Wohnung ins Helle ziehen – sie wollen ein Tabu brechen. „Häusliche Gewalt ist keine Privatsache“, sagten BKA-Chef Holger Münch und Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) gestern in Berlin. Laut BKA waren in 2015 127 457 Menschen Opfer von Bedrohungen, Körperverletzungen, Vergewaltigungen oder sogar Mord in den eigenen vier Wänden.
Und die Gewalt wächst, zumindest leicht. Polizisten haben Gewaltdelikte von 2012 bis heute ausgewertet, denn einen eigenen Straftatbestand von Körperverletzung gegen Frauen gibt es nicht. 2012 lag die Zahl der Fälle noch bei 120 758 und steigt seitdem. Im vergangenen Jahr waren 82 Prozent der Opfer Frauen, mehr als 100 000 Betroffene.
Die allermeisten Betroffenen sind zwischen 30 und 39 Jahre alt. „Wir erleben Gewalt in Partnerschaften quer durch die Gesellschaft“, hoben BKA-Präsident Münch und Petra Söchting, die Leiterin des Hilfetelefons, das 2013 vom Bund eingerichtet wurde (siehe Kasten).
Das größte Problem sei das Schweigen vieler Opfer, hob Söchting hervor. Frauen würden sich nicht trauen, Schläge oder sexuellen Missbrauch zu melden – denn sie leben mit den Tätern unter einem Dach. „Häufig fällt es umso schwerer eine Straftat zur Anzeige zu bringen, wenn die Täter Eheleute, Freunde oder Verwandte sind“, sagt Söchting. „Dieses Tabu, darüber nicht zu sprechen, muss weiter gebrochen werden, sagte Schwesig. „Schweigen hilft nur den Tätern.“ Und das Dunkelfeld an Straftaten sei noch immer groß, heben Politik und Polizei hervor.
Am häufigsten wurden Menschen laut BKA Opfer einer Körperverletzung oder eine Bedrohung. Häufig üben Täter Gewalt wie ein „Ritual“ aus – Schläge werden zur Gewohnheit. Dabei sind es Straftaten. Sieben Prozent waren 2015 von „Stalking“ betroffen, die wiederholte Belästigung. Doch auch 415 Menschen wurden im eigenen Zuhause getötet oder ermordet.
Die Zahlen vom BKA sollen helfen, häusliche Gewalt sichtbarer zu machen. Und durch die Statistik wollen Politik und Polizei die Arbeit bei der Prävention und die Hilfe für Betroffene verbessern.
Opposition und Hilfsorganisationen loben die Einrichtung einer Hotline für Opfer, ebenso wie eine höhere Aufmerksamkeit der Polizei bei Gewalt gegen Frauen. „Die Polizei nimmt hier als erste Anlaufstation für viele Frauen eine sehr wichtige Rolle ein, die sie in der Regel sehr gut ausfüllt“, sagt Birte Rohles von „Terre des Femmes“. Das Sexualstrafrecht wurde in diesem Jahr verschärft. Damit macht sich nicht nur strafbar, wer sexuelle Handlungen mit Gewalt oder Drohung erzwingt, sondern es reicht aus, wenn sich der Täter über den „erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt. Es reicht ein „Nein“ der Frau.
Und vor allem seit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes 2002 habe es einen Sinneswandel bei Polizei und Justiz gegeben. Seitdem setzen die Beamten vor Ort durch, dass nicht das Opfer von Gewalt eine Wohnung verlassen muss – sondern der Täter. „Leider ist es jedoch nicht ausreichend, ein Hilfetelefon zu haben, das auf Frauenberatungsstellen und auf Frauenhäuser verweist, wenn diese überlastet und überfüllt sind“, kritisierte Birte Rohles. Hier müsse die Bundesregierung mit Geld helfen.
Auch Schwesig räumte ein, dass die Finanzierung von Frauenhäusern bisher in Deutschland von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich stark ausfalle. Manche Kommunen müssen die Last alleine tragen, in immer mehr Fällen zahlen die Gemeinden den Frauenhäusern Tagessätze für ihre Angebote, die sich nach den Ansprüchen der Betroffenen auf soziale Grundsicherung richten (SGB II). Das schließt etwa Auszubildende, Studentinnen oder Frauen mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus aus. Und nicht alle Kosten des Frauenhauses sind im Rahmen dieser Leistungsansprüche abgedeckt – das führe zu Finanzierungslücken, so die Kritik. „Um allen Frauen, die sich vor Gewalt in ein Frauenhaus flüchten wollen, dort auch einen Platz anbieten zu können, ist eine Mitfinanzierung des Bundes unerlässlich“, sagte die Vize-Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion und Familienexpertin Katja Dörner dieser Redaktion. Trotz der gesetzlichen Einschränkung des Bundes bei der Hilfe für Kommunen durch den Föderalismus mache es sich die Ministerin zu leicht.
Prävention muss früh beginnen
Prävention gegen häusliche Gewalt beginne schon früh, heben Politik, Polizei und Hilfsgruppen hervor. Kinder und Jugendliche müssten von früh auf lernen, dass „Gewalt keine Lösung ist und dass niemand das Recht hat, über das Leben einer anderen Person zu bestimmen“, sagt Rohles von „Terre des femmes“. „Auch nicht in einer Partnerschaft.“