Berlin. .
Angela Merkel stolpert am Tag ihrer Kandidatur nur einmal wirklich: Sie habe sich vor dem Entschluss gefragt, ob sie genug Neugierde und Kraft für die nächsten vier Wochen habe. Dann verbessert sie sich schnell: Sie meine natürlich die nächsten vier Jahre.
Merkel ist die erste Frau im Kanzleramt. Doch sie, die bei ihrer Amtsübernahme jünger war als alle Kanzler der Republik vor ihr, hat einen steinigen Wahlkampf vor sich, wenn sie an den dienstältesten Kanzler Helmut Kohl heranreichen will. Orientieren will sie sich am Leitantrag des CDU-Bundesvorstands für den Parteitag in Essen, der am Montag einstimmig verabschiedet wurde – und vor allem die Handschrift der Parteivorsitzenden trägt.
Umgang mit den USA und Russland
Auch wenn Merkel verneint, dass die überraschende Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten eine Auswirkung auf ihre Entscheidung hatte: Die öffentliche Stimmung, dass sie nach der Wahl die letzte Verfechterin liberaler Werte sei, dürfte enormen Druck auf sie ausgeübt haben. Merkels selbstbewusste Gratulation an Trump, die sie mit einem Bekräftigen der westlichen Werte verband, kam international gut an. Doch kann sie der „lebendige Rettungsschirm“ in Zeiten der Unsicherheit sein, den die Menschen sich laut Forsa-Chef Manfred Güllner wünschen?
Das außenpolitische Format hat die Kanzlerin sich in den letzten elf Jahren erarbeitet. Merkel kann den Balanceakt vollbringen, den Westen bei den Sanktionen gegen Russland auf Kurs zu halten – und dennoch den einzigen Kontakt auf Augenhöhe zu Russlands Präsident nicht abreißen zu lassen.
Flüchtlingspolitik
Die Flüchtlingspolitik ist Merkels Achillesferse: von der Mitte gefeiert als Kanzlerin, die Humanität zum Leitbild ihrer Politik macht. Von den Kritikern verdammt, die die massenhafte Einwanderung nach Deutschland ihr persönlich anlasten. Im Leitantrag wird deutlich, wie Merkel in den Wahlkampf ziehen will: mit einem deutlich schärferen Ton in dieser Frage. Geschuldet der Auseinandersetzung mit der Schwesterpartei CSU, aber auch der lauten Kritik in ihrer eigenen Partei.
Merkel hat der CDU nun einen Kurs verordnet, der sehr deutlich macht, dass sich der starke Zuzug von Flüchtlingen und Migranten wie im Jahr 2015 nicht wiederholen darf. „Das Asylrecht und die Genfer Flüchtlingskonvention sind keine Instrumente für Arbeitsmigration“, steht in dem Vorstandspapier. Hier hat Merkel inhaltlich den größten Wandel vollzogen. Auch deshalb, weil sie ihre Wahlchancen so höher bewertet.
Sozialpolitik
Die CDU-Vorsitzende blieb im ARD-Interview relativ vage. „Wir müssen werben, dass die Menschen sehen, wir lösen ihre Probleme“, sagt sie etwa. Es bleibe bei den Konstanten der sozialen Marktwirtschaft, gleichzeitig müsse man auf die „dramatischen Veränderungen“ Digitalisierung und Globalisierung eingehen. Bleibt die Frage, wie man die Bildungschancen für Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern machen kann. „Nur wenn das staatliche Bildungsangebot anspruchsvoll und leistungsorientiert ist, haben alle gute Chancen“, heißt es dazu im Antrag. Hier wird die Kanzlerin schnell deutlich machen müssen, wie sie die Kluft zwischen den Eliten und denen, die sich abgehängt fühlen, schließen will. Auch für die „gleichwertigen Lebensbedingungen in ganz Deutschland“ bleibt vieles zu tun.
Lage der Union
Merkel will sich ihrer Partei, aber auch der Schwester CSU wieder deutlich annähern. Die CDU arbeitet nun beim Parteitag gezielt ihr konservatives Profil stärker heraus – etwa in der Sicherheitspolitik. „Wir werden die vor Ort arbeitenden Sicherheitsbehörden und die Justiz durch mehr Personal, bessere Ausstattung und ausreichend Befugnisse weiter stärken und in die Lage versetzen, auch mit neuen Herausforderungen erfolgreich umzugehen“, heißt es etwa in einem deutlich verschärften Passus. In dem Bereich erhofft sich die CDU das größte Wählerpotenzial. Und Merkel wird einen Nachfolger mit aufbauen. Sie sagt erstmals öffentlich: „Jeder Mensch ist ersetzbar.“
Koalitionspartner
Die Union muss im kommenden Wahlkampf Wähler vom rechten Rand wieder in die Mitte ziehen und dabei eigene Ideale nicht aufgeben. Parteigranden warnen davor, die Grünen schon vorab allzu sehr zu verdammen. „Eine große Koalition halte ich keinesfalls für alternativlos. Schwarz-Grün wird weiter eine Option bleiben, ebenso wie Schwarz-Grün-Gelb“, sagt der CDU-Vize Volker Bouffier dieser Zeitung. Auch CDU-Vize Thomas Strobl warnt, eine große Koalition dürfe nicht der Normalfall sein. „Mit den Grünen lässt es sich gut regieren, um das Land voranzubringen.“