Berlin. Polizisten haben bundesweit Räume der Salafisten-Gruppe „Die wahre Religion“ durchsucht. Der Innenminister hat die Gruppe verboten.
- Bundesinnenminister Thomas de Maizière verbietet Vereinigung "Die wahre Religion"
- Durch Koran-Verteilaktionen ("Lies!") bekannte Salafisten-Gruppe wollen Scharia einführen
- 190 Wohnungen und Büros durchsucht – ein Schwerpunkt im Ruhrgebiet
Mit einer Großrazzia in zehn Bundesländern, darunter in NRW, Berlin und Hamburg, ist die Polizei am frühen Dienstag gegen mutmaßliche Unterstützer der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vorgegangen.
Hunderte Polizisten durchsuchten etwa 190 Wohnungen und Büros von Organisatoren und Anhängern der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“, die hinter umstrittenen Koran-Verteilaktionen in deutschen Städten steht. Bundesinnenminister Thomas de Maizière verbot die Vereinigung.
Salafisten vertreten einen am Koran orientierten besonders konservativen Ur-Islam, lehnen westliche Demokratien ab und wollen eine Ordnung mit islamischer Rechtsprechung, der Scharia.
Hier schlug die Polizei am Dienstag zu:
Großrazzia gegen Islamisten-Netzwerk
Schwerpunkte der Polizeieinsätze, die um 6.30 Uhr zeitgleich in mehreren westdeutschen Bundesländern und Berlin begannen, waren:
• Hessen mit etwa 70 Durchsuchungen – darunter allein 15 in Frankfurt am Main. Weitere Schwerpunkte des Polizeieinsatzes in insgesamt 20 hessischen Städten waren das Rhein-Main-Gebiet und Nordhessen. Rund 600 Beamte seien im Einsatz gewesen, darunter auch Spezialkräfte, wie Innenminister Peter Beuth (CDU) am Dienstag erklärte.
• In Nordrhein-Westfalen gab es fast 35 Polizeiaktionen, darunter in Essen, Gelsenkirchen, Bochum, im Kreis Recklinghausen, in Münster, Wuppertal und Bonn. Ein Schwerpunkt ist Pulheim (Rhein-Erft-Kreis), wo das Zentrallager der radikal-salafistischen Vereinigung „Die wahre Religion“ vermutet wird, wie die Deutsche Presse-Agentur am Dienstag aus Sicherheitskreisen erfuhr.
• Auch in Bayern lag mit ebenfalls rund 35 Durchsuchungen ein Schwerpunkt.
• In Niedersachsen durchsuchten die Beamten mehr als 20 Liegenschaften
• In Berlin startete die Polizei Razzien ebenfalls in fast 20 Wohnungen; etwa 200 Polizisten waren im Einsatz. Die Einsätze waren fast über das gesamte Stadtgebiet verteilt, der polizeiliche Staatsschutz beschlagnahmte etwa Handys und Computer, Unterlagen sowie nicht zugelassene Pyrotechnik, Messer und einen Schlagring. Schusswaffen seien nicht gefunden worden.
• Auch in Baden-Württemberg gingen die Behörden gegen Salafisten vor, und zwar in etwa 15 Gebäuden;
• In Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz gab es am Dienstagmorgen jeweils etwa fünf Polizeiaktionen, in Bremen eine.
• Auch gegen jeweils einen Moschee-Verein in Baden-Württemberg und Hamburg lagen Durchsuchungsbeschlüsse vor.
Innenminister de Maizière bezeichnete das Verbot der Vereinigung als wichtiges Signal im Kampf gegen islamistischen Terror. „Deutschland ist eine wehrhafte Demokratie. Für radikale, gewaltbereite Islamisten ist kein Platz in unserer Gesellschaft“, sagte er am Dienstagmorgen in Berlin. Der Rechtsstaat setze mit dem Verbot ein klares Zeichen gegen den Missbrauch der Religion durch Personen, die terroristische Organisationen unterstützten.
Sammelbecken für Dschihadisten aufgebaut
Genau eine Woche nach einem Schlag der Behörden gegen Top-Islamisten, bei der die Bundesanwaltschaft unter anderem den als Chefideologen des deutschen Salafisten-Szene bekannten 32-jährigen Iraker Abu Walaa festgenommen hatte, wurden im Rahmen der aktuellen Aktionen keine spektakulären Festnahmen erwartet. Vielmehr ging es nach dpa-Informationen vor allem darum, Vereinsvermögen zu beschlagnahmen und Beweismittel sicherzustellen. Zudem wollten die Behörden ein weiteres Zeichen gegen die Aktionen der Radikal-Salafisten setzen.
Der Verfassungsschutz wirft führenden Akteuren und Sympathisanten der Vereinigung „DWR“ vor, den bewaffneten Dschihad („Heiliger Krieg“) und Terroranschläge zu verherrlichen. Zudem habe die Vereinigung ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für Dschihadisten aufgebaut.
Verbreitung von Videos im Netz verboten
Bisher sind nach Informationen aus Sicherheitskreisen mindestens 140 „Lies!“-Aktivisten und Unterstützer aus Deutschland nach Syrien und in den Irak gereist, um sich der IS-Terrormiliz anzuschließen.
Das Verbot der salafistischen Vereinigung ziele nicht auf die Verbreitung des islamischen Glaubens oder die Verteilung von Koranen oder deren Übersetzungen, hieß es weiter. Verboten werden solle lediglich der Missbrauch des Islam durch Aktivisten, die extremistische Ideologien propagierten oder Terrororganisationen unterstützten. Unter anderem werde jede Betätigung für den Verein, die Teilnahme an Koran-Verteilaktionen von „Lies!“ sowie die Verbreitung von Videos im Internet verboten.
9200 radikal-islamistische Salafisten in Deutschland
Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland bis Ende Oktober auf 9200 – Tendenz weiterhin steigend. Das Potenzial islamistisch-terroristischer Personen wird auf etwa 1200 Männer und Frauen geschätzt.
Bis Ende vergangenen Monats waren nach Angaben der Sicherheitsbehörden 870 Menschen aus der Bundesrepublik in die IS-Kriegsgebiete in Syrien und im Irak ausgereist. Darunter waren etwa 20 Prozent Frauen. (dpa)