Berlin. Winfried Kretschmann kann es nicht lassen, seine Grünen zu piesacken. Jetzt outete er sich als Merkel-Fan. In der Partei brodelt es.
Winfried Kretschmann mausert sich immer mehr zum Enfant terrible der Grünen. Seine Querschüsse sorgten schon mehrfach für reichlich Ärger in den eigenen Reihen. Etwa in der Flüchtlingspolitik, bei der Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer – ohne Kretschmanns Stimme im Bundesrat wäre die von den Bundes-Grünen abgelehnte Verschärfung nicht möglich gewesen.
Seit der 68-Jährige in Baden-Württemberg als Ministerpräsident der ersten grün-schwarzen Koalition regiert, nervt Kretschmann seine Parteifreunde zudem mit einer Annäherung an die Union. Jüngstes Beispiel: Kretschmanns Auftritt in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger am Mittwochabend.
Der grüne Patriarch als Merkel-Freund
Zu später TV-Stunde sprach sich der „grüne Monarch“, wie die „Süddeutsche Zeitung“ Kretschmann süffisant titulierte, für eine erneute Kanzlerkandidatur Angela Merkels aus. „Das fände ich sehr gut“, sagt er. Aus seiner Sicht ist die Kanzlerin „sehr wichtig in der europäischen Krise“. Der Kurs, den sie fahre, sei richtig, sagte Kretschmann. „Ich wüsste auch niemand, der diesen Job besser machen könnte als sie.“ Der grüne Patriarch aus dem Ländle als Merkel-Freund. Doch damit nicht genug.
Einmal in Fahrt, forderte Kretschmann ziemlich unverhohlen eine schwarz-grüne Koalition nach der nächsten Bundestagswahl. Auf die Frage, ob er besser mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) oder Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) zurechtkomme, antwortete er: „Über die Strecke gesehen ist mir der Seehofer doch näher.“ Ein klarer Seitenhieb auf all jene bei den Grünen, die von Rot-Rot-Grün im Bund träumen.
Hofreiter und Peter widersprechen Kretschmann
Bei den Grünen war man denn auch wenig begeistert von Kretschmanns Plauderstunde. Anton Hofreiter, Chef der Grünen im Bundestag, lehnte eine Festlegung auf eine weitere Amtsperiode von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab. „Es geht in einen schwierigen Wahlkampf, mit offenen Koalitionsaussagen“, sagte Hofreiter dem „Handelsblatt“. Seine Co-Vorsitzende Katrin Göring-Eckardt sekundierte gegenüber unserer Redaktion knapp: „Für uns gilt: Wir Grüne gehen 2017 eigenständig in die Wahl.“
Und die Grünen-Bundesvorsitzende Simone Peter ließ per „taz“ verlauten: „Wir wollen Merkels große Koalition ablösen und werden dabei ganz bestimmt keine Vorfestlegungen auf etwaige Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten vornehmen.“
„Kretschmann macht mich sprachlos und wütend“
Der Bundessprecher der Grünen-Nachwuchsorganisation Grüne Jugend, Moritz Heuberger, ging mit Kretschmann besonders scharf ins Gericht. „Winfried Kretschmann stellt sich mit seinen Äußerungen hinter die gescheiterte Politik der Bundesregierung. Angela Merkels Regierung verantwortet den verheerenden EU-Türkei-Deal. Wer eine derart unmenschliche Asylpolitik betreibt, beim Klimaschutz versagt und mit einer neoliberalen Agenda in der Eurokrisenpolitik den Zusammenhalt Europas aufs Spiel setzt, kann nicht grüne Wunsch-Kanzlerin sein“, sagte Heuberger unserer Redaktion. Der „Applaus für eine Stillstands-Politik“ schade Demokratie.
Heuberger weiter: „Dass ein grüner Ministerpräsident dem Hetzer Horst Seehofer, der sich regelmäßig einem rechtspopulistischen Politikstil bedient, näher steht als einem linken Ministerpräsidenten, der gemeinsam mit Grünen einen guten Job macht, macht mich sprachlos und wütend.“
Auch der Grünen-Fraktionschef im NRW-Landtag, Mehrdad Mostofizadeh, ging auf Distanz. „Wir kämpfen für starke Grüne und nicht für die Kandidatinnen anderer Parteien“, erklärte er gegenüber unserer Zeitung. Zwar habe Merkel „in der Flüchtlingspolitik gegen die rechten Hardliner in der Union Pol gehalten“, so Mostofizadeh. „Allerdings hat sie es seitdem versäumt, dies mit konkreten Handlungsschritten zu unterfüttern.“
„Wie ein BVB-Fan auf Schalke“
Linksparteichef Bernd Riexinger fiel zu Kretschmann ein Vergleich zum Fußball ein: „Kretschmann für Merkel?“, fragte er auf Twitter. „Wie ein BVB-Fan der Schalke die Daumen drückt. Völlig absurd!“
Die Grünen stecken in einer Klemme. Zwar sind viele von Kretschmanns Alleingängen genervt; es fällt ihnen aber schwer, den in der Bevölkerung beliebten Kretschmanns scharf zu attackieren. Das würde der Partei Sympathien und Stimmen kosten. Zudem steckt die Partei gerade im internen Wahlkampf um die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl. Das sorgt schon für genug Ärger – da kann man eine zweite Streit-Front nicht gebrauchen.