Düsseldorf. Sieben Monate vor der NRW-Landtagswahl will keine Partei mehr G8 wie bisher fortführen. Aber wer steht für welchen Reform-Vorschlag? Wir geben den Überblick

Zweieinhalb Jahre nach der Einrichtung eines „Runden Tisches G8/G9“ ruft Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) erneut Bildungspolitiker aller Landtagsfraktionen, Experten, Lehrer-, Eltern- und Schülervertretungen in ihr Ministerium. Ging es 2014 noch um die „Weiterentwicklung“ der achtjährigen Gymnasialzeit und die Selbstvergewisserung angesichts der G8-Abkehr in anderen Bundesländern, steht das Treffen diesmal unter völlig veränderten Vorzeichen.

Der „Runde Tisch“, der nach Löhrmanns Kalkül bislang die Verantwortung für den anhaltenden Eltern-Frust über die 2005 umgesetzte Schulzeitverkürzung auf möglichst viele Schultern verteilen sollte, ist zur Tafel der Umfaller geworden. Sieben Monate vor der Landtagswahl will keine Partei mehr G8 in der bisherigen Form ohne Wenn und Aber fortführen. Eine Übersicht.

SPD

In der SPD sind die Reformüberlegungen am weitesten gediehen. Der Landesparteitag im September hat ein „G8 Flexi“ beschlossen. Die Sekundarstufe I soll wieder sechs Jahre betragen, die Oberstufe zwei Jahre. Wer das Abitur erst nach 13 Jahren ablegen will, soll ein Orientierungsjahr vor die Oberstufe schieben können. An möglichst vie­len Gymnasien in NRW soll den Schülern so eine Wahlmöglichkeit zwischen G8/G9 geschaffen werden.

Problem: Das G8/G9-Wahlverhalten der Schüler lässt sich schwer kalkulieren, die Doppelstruktur schafft an Gymnasien höheren Personal- und Planungsaufwand.

Grüne

Schulministerin Löhrmann schlägt eine „individuelle Lernzeit“ für jedes Kind an jeder Schulform vor. An den Gymnasien könnte G8 formal beibehalten werden, allerdings mit flexibleren Elementen und unterschiedlichem Lerntempo ähnlich wie in der Schuleingangsphase im Primarbereich in den Klassen 1 bis 3.

Löhrmanns Vorbild ist die „Dalton-Pädagogik“ aus den USA. Dabei suchen sich Schüler stundenweise ihre Lehrer und Unterrichtsstoffe selbst aus.

Problem: Individuelle Lernzeiten klingen gut, werden jedoch im Massenbetrieb Gymnasium von vielen Lehrern als unpraktikabel abgelehnt.

CDU

Die CDU hat sich noch auf kein Reformmodell festgelegt. Es deutet sich an, dass Schulkonferenzen und Kommunen eine Wahlmöglichkeit zwischen G8 und G9 bekommen sollen. Zudem soll G8 intern umgebaut werden. Statt in der Oberstufe die Schulzeit zu verkürzen und den Stoff bei den älteren Schülern zu verdichten, hatte die schwarz-gelbe Landesregierung 2005 die Verkürzung in der Sekundarstufe I vollzogen. Dieser Fehler soll nun korrigiert werden.

Problem: Unklar bleibt, für wie viele Jahre sich eine Schulkonferenz mit einer G8/G9-Entscheidung binden soll. Eltern jeder Jahrgangsstufe haben andere Interessen.

FDP

Nach einer Mitgliederbefragung ist die FDP, lange glühendste Verfechterin der Schulzeitverkürzung, im August von G8 abgerückt. Die Liberalen wollen es künftig jeder einzelnen Schule freistellen, ob sie ihre Schüler nach acht oder neun Gymnasialjahren zum Abitur führen. Details wird ein Parteitag Ende November beschließen. Wer über das Schulmodell entscheidet, wie lange eine G8/G9-Entscheidung gilt und ob an eine regionale Verteilung der unterschiedlichen Gymnasialtypen gedacht ist, blieb bislang unklar.

Problem: Eine zentrale schulpolitische Strukturentscheidung wird in jede Schule getragen, es droht ein Hin und Her zwischen G8 und G9.

Eltern/Schüler

Die Landeselternschaft der Gymnasien, die mehr als 800 000 Eltern vertritt, fordert klipp und klar die Wiedereinführung von G9 für alle Gymnasien bis zum nächsten Schuljahr und den Verzicht auf Pflichtstunden am Nachmittag. Die Landesschülervertretung will eine flexible Oberstufe zwischen zwei und vier Jahren. Die Sekundarstufe I würde wieder sechs Jahre umfassen. Die Jahrgangsstufe 11 würde zum Einführungsjahr der Oberstufe, das man auch überspringen kann. Ein weiteres Vertiefungsjahr hin zu G10 wäre ebenfalls möglich.

Problem: Die geforderte flächendeckende „Rolle rückwärts“ der Eltern und das G8-G10-Modell der Schüler erfordern hohen Organisationsaufwand und Tausende zusätzliche Lehrerstellen in Nordrhein-Westfalen.