Essen. Lkw-Unfälle auf der Autobahn werden immer gefährlicher. Die Verkehrsminister wollen mit höherem Bußgeld und Notbremsassistenten dagegen vorgehen.
- Höhere Bußgelder sollen Lkw-Fahrer von Ablenkung abhalten
- Pflicht für Spediteure zum Einbau eines Notbremsassistenten
- Lkw-Fahrer immer häufiger abgelenkt
11 Uhr früh am 2. August. Auf der A 42 kurz hinter der Abfahrt Gelsenkirchen-Bismarck steht das Stauende. Ein Lkw-Fahrer übersieht es, kracht in die drei vor ihm haltenden Laster. Drei Fahrer werden eingeklemmt und schwer verletzt. Die Feuerwehr befreit sie mit schwerem Gerät. Lenker leichterer Fahrzeuge haben in solchen Fällen die noch schlechteren Karten. Wie Ende Mai auf der A 1 Dortmund-Köln. Der Wohnmobilfahrer stirbt, als ein 7,5 Tonner in sein Heck rast.
Schlachtfeld rechte Spur: 94 Trucker, die nicht rechtzeitig gebremst haben, verursachten im ersten Halbjahr ein Viertel mehr Lkw-Unfälle als 2015. Es gab sieben Tote und 100 Verletzte. So sieht die Bilanz alleine für Nordrhein-Westfalen aus. Donnerstag und Freitag treffen sich die Verkehrsminister der Bundesländer in Stuttgart, um bei ihrer Konferenz Maßnahmen zu ergreifen.
Was wollen die Verkehrsminister?
Der Plan zielt vor allem auf das Verhindern der tödlichen Auffahr-Crashs ab. Mit höheren Bußgeldern sollen Fahrer von ablenkenden Tätigkeiten – Telefonieren, TV-Gucken, auf dem iPhone spielen - abgehalten werden. Eine Pflicht für Spediteure zum Einbau eines elektronischen Notbremsassistenten auch für ältere Fahrzeuge soll für besseres Abstand-Halten sorgen.
Helfen schärfere Strafen?
Tatsächlich werden Verfehlungen in der Lkw-Kabine - die reichen von Fahrzeit-Verstößen bis zu Manipulationen der Kontrollgeräte - in Deutschland meist mit einem Bußgeld geahndet. Im Ausland, in Belgien zum Beispiel, gelten sie in stärkeren Umfang als Straftaten.
Steigt die Zahl der tödlichen Unfälle tatsächlich?
Generell gilt: Seit 1992 werden 80 Prozent mehr Güter auf der Straße transportiert. Die Zahl der bei Lkw-Unfällen Getöteten ist in der gleichen Zeit um 57 Prozent gefallen. Aber die zunehmende Dichte des Lkw-Verkehrs und die zunehmenden Möglichkeiten der Ablenkung der Fahrer bis hin zum „Zeitung lesen und Fußnägel schneiden“ (Polizei Köln) verändern die Art der Unfälle und machen sie gefährlicher – vor allem für die Fahrer von Pkw, die zwischen zwei Lkw geraten.
Belegen das die Zahlen?
2014 starben bei Lkw-Unfällen deutlich mehr Menschen in den unfallbeteiligten Personenwagen als in den Lkw selbst. Das Statistische Bundesamt stellt dazu fest: „Abstandsfehler sind das häufigste Fehlverhalten, das den Führern von Güterkraftfahrzeugen angelastet wird“. 2014 waren das 20 Prozent aller Lkw-Unfälle.
Aber neu zugelassene Lastzüge müssen doch schon den Bremsassistenten haben. Müsste sich das nicht positiv auf das Unfallgeschehen auswirken?
Zum einen: Das ist erst seit 2015 so. Zum zweiten: Die Bremsassistenten erkennen, wenn ein voraus fahrendes Fahrzeuge seine Geschwindigkeit drosselt, nicht aber, wenn es stehen bleibt. Damit hilft dieser Computer in der klassischen Lage am Ende eines Staus wenig. Erst 2018 soll das anders werden. Zum dritten: Die Bremsassistenten können manipuliert werden.
Wie geht das?
Das System warnt ja den Fahrer, wenn er zu dicht auffährt. Reagiert er nicht, bremst es selbständig ab. Nicht selten will der Fahrer das vermeiden und stellt es mit einem Handgriff ab. Trucker erzählen, dass sie zum Beispiel so mit Schwung überholen können. Sie schalten das Gerät aus, fahren dicht auf, um dann mit Vollgas auf die linke Spur auszuscheren und am Vormann vorbeizuziehen. So entsteht oft eine gefährliche Situation.
Wird oft gepfuscht?
500 000 Fahrzeuge hat das Bundesamt für Güterverkehr im letzten Jahr kontrolliert. Bei Kontrollen stellte sich heraus, dass zum Beispiel 22 von 69 herausgewunkenen Lkw mit manipulierter Elektronik oder abgeschalteten Assistenten unterwegs waren.
Welche Rolle spielt eine Übermüdung der Fahrer als Unfallursache?
Die Unfallforscher der Deutschen Versicherer haben festgestellt, dass vor allem Fahrer kleinerer Betriebe unter hohem wirtschaftlichem Druck stehen – und damit unter Zeitdruck. Bei Kontrollen des zuständigen Bundesamtes wurde klar, dass es bei einem Drittel der angehaltenen Fahrzeuge Verstöße gegen die Lenk- und Ruhezeiten gab. Erst kürzlich ist ein Lkw-Fahrer erwischt worden, der über 90 Stunden am Steuer gesessen hatte. Dabei müssen vom Gesetz her nach 4,5 Stunden Fahrt Pausen von 45 Minuten eingelegt werden. Nach neun Stunden Fahren ist laut Vorschrift Schluss.
Ist das überhaupt kontrollierbar?
Nur eingeschränkt. Da wird auch mal die gesetzlich vorgeschriebene Zeiterfassung manipuliert oder die Fahrerkarte eines Kollegen eingesetzt, der in Urlaub ist – eine laut Polizei neuerdings beliebte Methode. Auch die Lenk- und Ruhezeiten selbst stehen im Fokus der Kritik. Wenn die Fahrer die Lkw selbst entladen oder beladen, zählt das nicht immer als Fahrzeit. Von Ausruhen ist dabei aber nicht die Rede. Vor allem osteuropäische Trucker übernachten auf deutschen Autobahnparkplätzen in ihren Fahrerkabinen, um Übernachtungskosten zu sparen. Auch das ist nicht wirklich Erholung.
Welche Autobahnen sind berüchtigt für schwere Lkw-Auffahrunfälle?
Hier muss man NRW und Niedersachsen als eine Region sehen, weil beide Länder an der großen europäischen Ost-West-Route liegen. Besonders gefährlich ist die „Warschauer Allee“, die A 2, die durch den Norden des Ruhrgebiets führt. Denn hier geraten osteuropäische Lkw-Fahrer nach langer ermüdender Nachtfahrt erstmals nach Berlin in städtische Bereiche. Berüchtigt ist deswegen auf der A 2 der Abschnitt um Hannover herum und der zwischen Hannover und dem Revier. Laut ADAC sind aber auch die A 44 und die A 45 gefährliches Pflaster.
Was sollen Pkw-Lenker tun, wenn sie sich auf der rechten Spur zwischen Lkw-Kolonnen „eingeklemmt“ sehen?
Rechtzeitig das Warnblinklicht einschalten, wenn sich der Stau entwickelt.