Düsseldorf. Der Rechtspsychologe Rudolf Egg analysiert anhand von 1200 Strafanzeigen die Überforderung der Polizei in der Kölner Silvesternacht

. Die massenhaften Übergriffe in der Kölner Silvesternacht sind das Ergebnis einer kolossalen Überforderung der Polizei. Diesen Schluss lässt ein neues Gutachten zu, das der renommierte Rechtspsychologe Professor Rudolf Egg für den Untersuchungsausschuss des Landtags angefertigt hat. Am heutigen Mittwoch soll die Expertise offiziell vorgestellt werden.

Nach Auswertung der rund 1200 Strafanzeigen aus der Kölner Silvesternacht kommt Egg zu dem Schluss, dass die Überforderung der Ordnungshüter bereits in den frühen Abendstunden den Mob überhaupt erst entfesseln konnte. Da es nur in zehn Prozent der Strafanzeigen Hinweise auf eine organisierte Tätergruppe gebe, sei die Mehrzahl der Männer auf dem Domvorplatz eigentlich gar nicht in der Absicht nach Köln gekommen, dort Straftaten zu begehen. Erst als sie bemerkt hätten, dass die Polizei nicht eingeschritten sei, seien alle Hemmungen gefallen.

Die scheinbar risikolose Beteiligung an Straftaten habe zu einer „sozialen Ansteckung“ geführt. Das Gefühl, Teil einer großen anonymen und weitgehend unkontrollierten Masse zu sein, verwandelte offenbar über Stunden einen der prominenten Plätze in NRW in einen rechtsfreien Raum.

„Die Sogwirkung des Abends machte den Domvorplatz zu einem Angstraum für Frauen“, folgerte CDU-Obfrau Ina Scharrenbach auf Anfrage unserer Zeitung. Sie sieht viele Schlussfolgerungen aus den Zeugenbefragungen der vergangenen Monate wissenschaftlich bestätigt.

38 Hundertschaft-Beamte weniger als beantragt.

Gutachter Egg rekonstruierte, dass es zu den Sexualstraftaten bereits ab 20.30 Uhr gekommen sei. Zu diesem Zeitpunkt konnte die Polizei am Dom noch gar keine ausreichende Präsenz zeigen. Der selbst mit der Bahn zum Dienst angereiste Polizeiführer hatte zwar um 20 Uhr erste auffällige Männergruppen gesichtet und eine verstärkte Kontrolle gefordert - es fehlte dazu jedoch an ausreichenden Kräften. Das dem Innenministerium unterstellte Landesamt für Polizeiliche Dienste (LZPD) hatte der Kölner Polizei im Vorfeld 38 Hundertschaft-Beamte weniger zugeteilt als von den Einsatzplanern beantragt.

Ein Drittel der rund 1200 Strafanzeigen bezogen sich auf Sexualdelikte. Sie wurden zu 80 Prozent unter freiem Himmel verübt und damit nicht im Bahnhof, dem Zuständigkeitsbereich der Bundespolizei. Zu Raub- und Diebstahlsdelikten kam es dagegen erst in den frühen Morgenstunden.

Laut Gutachten diente ausgerechnet die zentrale polizeiliche Maßnahme der Nacht, die Räume der Domplatte kurz vor dem Jahreswechsel, gar nicht der Verbesserung der Sicherheitslage. Aus Sicht der Opfer verschärfte sich durch die Verdrängung ihre Notlage sogar noch weiter.