Berlin. 2000 Rocker sind in NRW unterwegs. Trotz aller Bemühungen des Landes verschärfen sich ihre brutalen Revierkämpfe. Sie greifen auch die Polizei an.
Einige Zeit schien es, als beruhige sich auch unter dem Eindruck von Vereinsverboten die Rockerszene in Nordrhein-Westfalen. Eine Fehleinschätzung. Die Gangs – mit oder zunehmend auch ohne Motorrad – treten brutaler denn je auf. Der aktuelle Zwischenfall: In Erkrath prügelten sich in der Dienstagnacht hunderte Libanesen - unterstützt von Supporters der Hells Angels. Und erst vor kurzem stoppten Einsatzkommandos der Polizei eine Massenschlägerei in Bielefeld, wo Gruppen aus dem ganzen Bundesgebiet aufeinander losgehen wollten
„Geringste Anlässe können zur Eskalation führen“, heißt es in einem internen Lagebericht des Landeskriminalamtes, aus dem die „Bild“-Zeitung zitiert. Gegenüber der Zeitung beklagte sich ein Ermittler: „Die Rocker merken, dass wir personell am Ende sind. Gerade die Terrorbekämpfung bindet viele Kräfte.“
Viele Auseinandersetzungen im Verborgenen
Die Gruppen lieben Macht-Demonstrationen. In Herne kurvte eine provozierende Krad-Runde von 33 Bandidos durch das Stadion, um zu zeigen, wer Herr auf dem Platz ist. Und 44 Mal kam es zwischen 2010 und 2015 landesweit zum Schusswaffengebrauch durch Banden. Das sind aber nur solche Fälle, die bekannt wurden. Die Auseinandersetzungen zwischen den Gruppen werden oft im Verborgenen ausgetragen.
Gezielt werden sogar Polizeibeamte angegriffen. Wie im Dortmunder Osten am 18. August. Als ein Spezialeinsatzkommando einen 52-jährigen ehemaligen Rocker und verurteilten Betrüger und Sexualtäter wegen Zuhälterei in seiner Wohnung festnehmen will, zieht er die Waffe. Die Beamten erschießen ihn.
Tragen von Symbolen verboten
In NRW sind mehr als 2000 Rocker mit 102 Ortsgruppen bekannt. Seit Jahren versucht Landesinnenminister Ralf Jäger (SPD), der Gewalt und der Kriminalität in ihren Reihen durch starke Polizeipräsenz und Verbote Herr zu werden.
Er hat das Tragen von Symbolen untersagt („Wir dulden nicht, dass die Rocker ihre Embleme nutzen, um zu provozieren und die Menschen einzuschüchtern“) oder auch die Auflösung ganzer Ortsgruppen verfügt – wie in Aachen (Bandidos) und Köln (Hells Angels). Hells Angels in Düsseldorf waren schon länger verboten. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verhängte 2015 das überhaupt erste bundesweite Verbot einer Rockergruppe. Es traf die Satudarahs, die sich von den Niederlanden über den Niederrhein bis nach Duisburg ausgebreitet hatten. In der Regel beschlagnahmen die Behörden nach einem Verbot auch das zugehörige Vereinsvermögen.
Erweitertes Kennzeichen-Verbot geplant
Jetzt will die Bundesregierung den Kampf gegen die gewaltbereiten Motorradgangs noch einmal verschärfen. Das Mittel dazu ist ein erweitertes Kennzeichen-Verbot.
Unserer Redaktion liegt der Entwurf der Änderung des Vereinsgesetzes vor. Darin heißt es: „Vereinigungen, insbesondere im Bereich der kriminellen Rockergruppierungen, können einen Deckmantel für vielfältige Formen der schweren und organisierten Kriminalität wie zum Beispiel Menschenhandel und Drogengeschäften bieten. Kennzeichen verbotener Vereinigungen sowie solche, die mit denen eines bereits verbotenen Vereins im Zusammenhang stehen, sollen von anderen Gruppierungen im Bundesgebiet nicht mehr weiter genutzt werden“.
Der Gesetzgeber reagiert damit auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes zu einer Maßnahme des Landes NRW. Die Richter kippten die Anordnung Jägers aus dem Sommer 2014, weder Hells Angels noch Bandidos dürften Embleme auf ihren Kutten tragen. Die Urteilsbegründung: Das Tragen der Abzeichen sei dann nicht strafbar, wenn sie mit dem Zusatz einer nicht verbotenen Ortsgliederung versehen sind.
Bundesrat drängt auf Verschärfungen
Was zunächst sehr juristisch klingt, könnte die „traditionsbewussten“ Banden mit dem neuen Gesetz ins Mark treffen. Denn gerade Symbole wie Kutten und Zeichen, zum Beispiel Totenkopfschädel mit Flügel, sind für sie von enormer Bedeutung. Sie dienen zudem der Einschüchterung bei Schutzgelderpressungen. Praxis war es bisher auch, dass das in einer Stadt verbotene Chapter oder Charter schnell an anderem Ort unter der gleichen Symbolik weitermacht - und so das Verbot umgeht .
„Als „praxistauglicher und effektiver“, loben die Länder das geplante Gesetz. Doch der Bundesrat drängt auf weitere Verschärfungen. Nach seiner Ansicht muss künftig klarer sein, wer im Einzelfall für Maßnahmen gegen Rocker und Verbotsanträge überhaupt zuständig ist: Bund? Oder Länder?
Denn wegen dieser unklaren Rechtslage platzen Verbote. Viele Rockerclubs haben geschickte Anwälte, die Gerichte gehen auf ihre Argumente ein. So ist es vor wenigen Monaten passiert, als das Land Rheinland-Pfalz den „Hells Angels Motorradclub (MC) Bonn“ verbot, das Oberverwaltungsgericht des Landes das Verbot aber sofort rückgängig machte. Die „Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums für das Vereinsverbot“ sei gegeben, urteilten die Richter.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurde der Eindruck erweckt, bei der Massenschlägerei in Erkrath wären Rocker und Libanesen aneinandergeraten. Tatsächlich handelte es sich um einen Konflikt zweier libanesischer Clans, von denen einer vom Rocker-Nachwuchs unterstützt wurde. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen!