Washington. Eisenfesseln und Obama-Plakate: In Washington eröffnet ein Museum für afroamerikanische Kultur – voll mit Trauer und Glücksmomenten.
„Die wichtigsten Dinge im Leben sind nicht schnell oder einfach zu haben.“ Als Barack Obama bei der Grundsteinlegung vor vier Jahren in Washington mit der ihm eigenen Mischung aus Weisheit und Zuversicht diesen Allerweltssatz sagte, bekamen die Älteren unter den geladenen Gästen feuchte Augen. Bei der ersten Gedenkstätte, die sich ganz und ausschließlich der zwischen Verzweiflung und Triumph oszillierenden afro-amerikanischen Geschichte widmet, hat es von der ersten Idee bis zur Realisierung über 100 Jahre gedauert.
1914 pochten schwarze Bürgerkriegs-Veteranen erstmals darauf, dass ihr selbstloser Einsatz für das mit Blut getränkte Zusammenwachsen der Nation im Herzen der Hauptstadt gewürdigt wird. Danach gingen Dekaden des Streits über Standort, Geld und Botschaft ins Land. Bis George W. Bush 2003 mit seiner Unterschrift besiegelte, was an diesem Samstag Wirklichkeit wird.
An der „Mall“, der spektakulären Grünanlage und Open-Air-Museumsmeile zwischen Kapitol und Lincoln-Statue, öffnet im Schatten des Obelisken ein erhaben schönes Haus seine Pforten, das die viel zu lange um ihr prägendes Kapitel amputierte Erzählung der Vereinigten Staaten von Amerika komplett macht.
Museum kostete 540 Millionen Euro
Der 540 Millionen Dollar teure Bau des „National Museum of African American History and Culture“, zur einen Hälfte staatlich, zur anderen von privaten Mäzenen wie der Fernseh-Diva Oprah Winfrey und dem Basketball-Star Michael Jordan finanziert und vom Londoner Star-Architekten David Adjaye mit Anleihen bei der afrikanischen Yoruba-Kultur entworfen, kommt zu einem Zeitpunkt daher, der heikler kaum sein könnte. Und passender.
Die beiden Amtsperioden des ersten schwarzen Präsidenten neigen sich dem Ende entgegen, ohne dass die Wunde der Rassenfrage verheilt wäre. Neue Blutungen haben eingesetzt. Einer, der sein Nachfolger werden will, spielt im Wahlkampf jeden Tag mit dem hässlichen Ressentiment, das sich mal in tödlichen Polizisten-Attacken auf Schwarze und mal in dem demonstrativen Herzeigen der Konföderierten-Flagge ausdrückt, dem Signum der Sklavenhalter-Staaten im Bürgerkrieg.
US-Vergangenheit „von Folter und Rassismus geprägt“
Lonnie Bunch, der von Natur aus gewinnend lächelnde Direktor der neuen Museums-Perle, will in der unter dem Dach des Smithonian-Instituts stehenden Einrichtung schon im ersten Jahr fünf Millionen Besucher mit der „von Folter und Rassismus geprägten Vergangenheit“ ihres Landes konfrontieren. Und die Diskussion darüber befördern, was es heute wirklich bedeutet, „ein Amerikaner zu sein“. Ein Rundgang durch das 38.000 Quadratmeter Geschichte präsentierende Haus wird „Tränen der Trauer“ auslösen, verspricht der 62-Jährige – „und Momente großen Glücks.“
Die Trauer, besser das Erschrecken, kommt am Anfang. Knapp 30 Meter tief in die sumpfnasse Erde haben die Kuratoren jene der 3000 ausgestellten Artefakte verlegt (insgesamt liegen 40.000 in den Archiven), die dem Menschenraub in Afrika und der anschließenden Versklavung in der „neuen Welt“ gewidmet sind. Neunschwänzige Peitschen. Gusseiserne Fußfesseln. Holzbohlen eines Sklavenschiffs, das samt seiner lebenden Fracht vor Afrika sank. Die Kuratoren setzen eine museal gern verdrängte Wirklichkeit ins grelle Licht, zu der auch gehört, dass mit George Washington und Thomas Jefferson zwei Urväter Amerikas ihren Reichtum dem Schweiß Hunderter Sklaven verdankten.
Rassentrennung und Bürgerrechtsbewegung
Wo das endete, zeigt die großzügigen Räume, die der Zeit der Rassentrennung, des Aufbegehrens und der Bürgerrechtsbewegung gehören. Der offene Sarg, in dem 1955 der von kukluxklanigen Weißen verstümmelte schwarze Teenager Emmitt Till zu liegen kam, schnürt dem Besucher die Luft ab. Ebenso die Glasscherben aus den Fenstern der 16th Street Baptist Church in Birmingham/Alabama, in der 1963 vier schwarze Mädchen von einer Bombe weißer „Herrenmenschen“ zerrissen wurden. Rosa Parks, Martin Luther King, die Säulenheiligen der heutigen „Black Lives Matter“-Bewegung (Schwarzes Leben zählt), erscheinen – in Wort, Bild und Ton blendend inszeniert – multimedial.
Bei den wuchtigsten Ausstellungsstücken, einem Zugwaggon (in dem Schwarze ganz hinten sitzen mussten) und einem Wachturm des berüchtigten „Angola“-Knasts von Louisiana (in dem überproportional viele Schwarze ums Leben kamen), reicht die schiere Präsenz aus Stahl und Stein.
Chuck Berrys Cadillac und Alis Boxhandschuhe
Auf den bereits bis tief in den November ausgebuchten Touren (Eintritt frei!) führt der Weg die erwarteten 10.000 Besucher am Tag mit jedem Stockwerk ein Stück mehr ins Helle. Chuck Berrys roter Cadillac, Muhammad Alis Boxhandschuhe, die Trompete von Louis Armstrong, die Sprinter-Schuhe von Jesse Owens, die Prosa von James Baldwin, die Gedichte von Langston Hughes und Maya Angelou, die Musik von B.B. King über Aretha Franklins Hymne „Respect“ bis zu Michael Jacksons Moon-Dance – all das, was Amerika und die Welt den Schwarzen verdankt, ist auf den oberen Etagen dieser einzigartigen Schatzkammer mit so viel Sinn fürs Detail zur Schau gestellt, dass man nur überwältigt sein kann. Obama wusste das schon bei der Grundsteinlegung.
„Hier wurden die Pfeiler unserer Demokratie gebaut, oft mit den Händen der Schwarzen“, sagte der Präsident, „und es ist diese Stelle, an der sich Generationen an die manchmal schwierige, oft inspirierende, aber immer zentrale Rolle erinnern werden, die Afroamerikaner im Leben unseres Landes gespielt haben.“