Berlin. Islamisten beeinflussen Migranten mit ihren radikalen Botschaften. Die Bundesregierung rechnet mit einer Zunahme der Anwerbeversuche.
Oft fängt es mit einem Teppich an. Einem Gebetsteppich, wichtig für jeden gläubigen Muslim. Oder mit Essen, manchmal auch mit Geld. Es sind Geschenke, die sogenannte Salafisten Flüchtlingen machen, auch in der Nähe von Flüchtlingsheimen. Dann folgt meist eine Einladung in die Moschee. Der Ton ist freundlich, hilfsbereit, verständnisvoll. Es geht darum, Vertrauen herzustellen. Erst bei den nächsten Treffen wird deutlicher, worum es den meist jungen Männern auch geht: beeinflussen, missionieren, anwerben. „Dawa“ heißt das auf Arabisch.
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zahl der Anwerbeversuche steigen wird. „Perspektivisch ist von einer Zunahme dieser Aktivitäten auszugehen“, heißt es in einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken, die dieser Redaktion vorliegt.
Linke fordert neue Ideen gegen Salafisten
Seit Oktober 2015 sind der Regierung mehr als 340 Fälle bekannt, in denen Salafisten versuchten, Kontakt zu Flüchtlingen aufzunehmen. Mehr als die Hälfte dieser Kontaktversuche ereignen sich „an oder im Umfeld von Migrantenunterkünften“, heißt es in dem Papier. Die Kontaktaufnahme geschehe „unter dem Deckmantel humanitärer Hilfsangebote“.
Die Linke fordert von der Bundesregierung mehr Anstrengungen gegen Salafisten. „Etwas bedenklich stimmt mich, dass die Bundesregierung keine neuen Ideen entwickelt, wie der Salafistenpropaganda entgegengewirkt werden kann“, sagte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, dieser Redaktion.
Salafisten legen Koran reaktionär aus
Es sei „die Aufgabe der ganzen Gesellschaft, Flüchtlinge in Deutschland vor jeglicher Hasspropaganda zu schützen“. Dazu gehöre auch, „den Flüchtlingen eine rasche Integration in Deutschland zu ermöglichen und der Salafistenhetze damit weiteren Boden zu entziehen“.
Der Verfassungsschutz zählt mehr als 43.000 Menschen in Deutschland zur islamistischen Szene, darunter 9200 Salafisten. Seit 2011 hat sich ihre Zahl verdoppelt. Für einen Teil der Salafisten ist Gewalt ein legitimes Mittel, um ihre Ziele zu erreichen. Mit Demokratie können sie nichts anfangen. Für sie steht der Koran über allem – und sie legen ihn reaktionär aus.
Einfache Antworten auf komplexe Fragen
Es gilt die Scharia. Das „Gesetz Gottes“. Nicht der Rechtsstaat. Sie dulden keine moderne Interpretation des Koran – anders die allermeisten der Muslime in Deutschland. Wer ein gutes Leben im Sinne der Salafisten führt, kommt ins Paradies. Allen anderen droht die Hölle. Es ist wie so oft bei Extremisten: Sie geben einfache Antworten auf komplexe Fragen. Es ist eine simple Sicht auf die Welt. Alles wird in gut und böse unterteilt.
Ein Star ist für viele junge Anhänger der Bewegung Sven Lau. Der 35 Jahre alte Deutsche steht aktuell in Düsseldorf vor Gericht. Ihm wird die Unterstützung einer islamistischen Terrormiliz vorgeworfen. Auch Lau rief auf Facebook dazu auf, „Migranten zu helfen und sie zu unterstützen“. Und das Innenministerium zählt noch weitere Fälle auf: So wurde etwa auf dem Facebook-Profil der Salafisten-Gruppe „Siegel der Propheten“ ein Video geteilt, in dem Muslime Flüchtlingen in Wuppertal Geld schenken. Es wird dazu aufgerufen, dies nachzuahmen. „Siegel der Propheten“ warb auch mit einem Flyer dafür, Flüchtlingen Korane zu schenken und sie zu unterstützen.
552 Salafisten als „Gefährder“ eingestuft
In mehreren Bundesländern sind Fälle bekannt. In Hamburg etwa beobachtete der Verfassungsschutz mutmaßliche Anwerbeversuche: Im Oktober 2015 waren nahe einer Einrichtung in Jenfeld mutmaßliche Salafisten unterwegs, verteilten Korane an die Flüchtlinge. Auch im April 2016 suchten mutmaßliche Islamisten in einer Unterkunft in Hamburg-Holmbrook Kontakt zu Geflüchteten.
Experten gehen davon aus, dass die Dunkelziffer der Anwerbeversuche noch viel höher ist. Das Bundeskriminalamt zählt 522 Salafisten zu den „Gefährdern“ – das sind Personen, denen der Staat einen Mord oder einen Anschlag zutraut. Viele von ihnen werden von Polizei und Verfassungsschutz beobachtet.
Wege in Kriegsgebiete schwer zu verfolgen
Mehr als 800 Menschen, die meisten von ihnen Männer, sind bereits aus Deutschland ausgereist, um sich islamistischen Gruppen wie dem IS in Syrien und Irak anzuschließen. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über die deutschen „Dschihadisten“ sind dünn, ihre Wege über die Türkei in die Kriegsgebiete nur schwer zu verfolgen. Verfassungsschützer machen vor allem Salafisten verantwortlich für die Anwerbung von IS-Kämpfern in Deutschland.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist alarmiert. „Vor falschen Predigern und islamistischen Hetzern müssen wir auf der Hut sein und bewusst gegensteuern“, sagte der CSU-Politiker dieser Redaktion. „Die islamistische Szene beobachten wir deshalb auch sehr aufmerksam – gerade auch die Versuche von Salafisten, junge Flüchtlinge als Nachwuchskämpfer zu rekrutieren.“
Experten sprechen von „Pop-Dschihadisten“
Junge Salafisten sind zwischen 20 und 30 Jahre alt. Mit der radikalen Auslegung des Islam und ihrer Kleidung, die sich am Propheten Mohammed orientieren soll, entsteht zwischen ihnen eine eingeschworene Gemeinschaft, in der einige auch Männlichkeitsfantasien und Gewaltfantasien ausleben. Manche Experten nennen die Salafisten „Pop-Dschihadisten“.
Empfänglich für diesen „Pop-Dschihadismus“ sind wiederum vor allem junge Menschen. Das sieht auch das Bundesinnenministerium so: Besonders anfällig für „Versprechen von Islamisten“ seien unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, heißt es in dem Regierungspapier, also junge Menschen, die ohne ihre Eltern oder Geschwister nach Deutschland gekommen sind.
Junge Menschen offen für extreme Ideen
Auf den ersten Blick klingt das paradox: Warum sollte ein Jugendlicher, der vor dem Terror der Dschihadisten aus Syrien, Irak oder Afghanistan geflohen ist, sich der Ideologie verschreiben, die ihn vertrieben hat? Aber junge Menschen sind noch nicht so gefestigt wie Erwachsene. Und offen für extreme Ideen, so die Analyse des Bundesinnenministeriums: „Bei unbegleiteten Jugendlichen mit Fluchthintergrund kommt hinzu, dass sie sich in mehrfacher Hinsicht ohne Stütze fühlen; sie sind getrennt von Eltern und Heimat in einem neuen Land und auf der Suche nach Halt und Zuversicht.“
Wie gefährdet junge Männer für radikale Antworten sind, zeigen auch die Ereignisse dieses Sommers. Bei den Terroranschlägen von Ansbach und Würzburg waren die Täter junge Flüchtlinge. Ermittler gehen davon aus, dass die beiden Männer aus Syrien und Afghanistan gezielt von Rekrutierern des IS über das Internet radikalisiert und sogar instruiert wurden. Chatprotokolle zeigen, wie der IS versucht, die Geflüchteten bis hin zum Anschlag zu leiten.