Ansbach. Was hat der Anschlag auf ein Musikfest aus der Stadt Ansbach gemacht? Eine Spurensuche in dem bayerischen Ort vier Wochen nach der Tat.
Im Hofgarten von Ansbach fand in dieser Woche das Freundschaftsspiel „Deutschland gegen Libanon“ statt. Zwei deutsche Jugendliche spielten Fußball, als zwei arabisch aussehende Jugendliche dazukamen; die Deutschen spielten sie an und riefen: „Sprecht ihr Deutsch?“ – „Nur wenig, Englisch besser!“ – „Flüchtlinge?“ – „Ja, Libanon!“ – „Ok. Wir spielen auf zwei Tore! Los!“ In den 20 Minuten danach war oft das Wort „Jalla“ zu hören. Das Spiel endete 4:2 für Deutschland.
Dass dieses Spiel in Ansbach stattgefunden hat, ist eine gute Nachricht. Denn vor genau einem Monat wurde dieses fragile Vertrauensverhältnis zwischen Einwohnern und Flüchtlingen auf die Probe gestellt, nicht nur in Ansbach, sondern in ganz Deutschland. Damals setzte sich ein 27 Jahre alter Mann in Ansbach vor „Eugens Weinstube“ an einen Tisch. Der Syrer hatte einen Rucksack dabei, nahm ihn ab, beugte sich darüber. Dann gab es eine Explosion, 15 Menschen wurden verletzt, vier davon schwer, der Attentäter starb. Das hätte noch schlimmer ausgehen können, denn neben der Weinstube war der Eingang zu einem Konzert auf einem Innenhof mit 2500 Gästen.
Die meisten Opfer waren Stammgäste von „Eugens Weinstube“
Vier Wochen später können die Ansbacher noch immer nicht glauben, was da mitten in ihrer Stadt passierte. Und die Flüchtlinge, die mit dem Attentäter im ehemaligen Hotel Christl unter einem Dach lebten, kämpfen mehr denn je um das Vertrauen derer, die sie aufgenommen haben.
Selbstmordattentat in Ansbach
Die deutschen Opfer sind inzwischen wieder aus dem Krankenhaus entlassen. „Die meisten, die verletzt waren, sind Stammgäste“, sagt Norbert Imschloß. Er ist der Wirt von „Eugens Weinstube“ und macht gern Witze über seinen Nachnamen. Überhaupt ist er ein geselliger Typ. Viele der Gäste, die bei Imschloß am Abend vorbeischauen, wirken eher wie Freunde bei ihm zu Hause. Er weiß noch genau: Es war Sonntag, exakt 22.12 Uhr, als der Wirt die Explosion vor dem Fenster sah, er zapfte gerade Bier. „Ich wusste sofort, das war eine Bombe.“ Er kannte das Geräusch von seiner Zeit bei der Bundeswehr, rannte hinaus, schrie, alle sollen reinkommen. „Manchmal zittere ich jetzt noch, wenn ich daran denke.“
Die Flüchtlinge im Hotel Christl müssen beschützt werden
Zwei Tage später hat er den Kneipenbetrieb wieder aufgenommen, stellte auch den Tisch dort auf, wo der Attentäter saß. Der Syrer wurde damals gegen das rote Auto des Hausbesitzers geschleudert, das vor ihm stand. Derselbe Wagen steht jetzt wieder da, mit derselben Delle in der Fahrertür. Die zu Bruch gegangenen Scheiben an der Weinstube sind alle repariert. Der Tatort, diese wohl fast gemütlichste Ecke von Ansbach, umgeben von alten Gemäuern, ist wieder eine friedliche Oase im Touristenviertel. Gespenstisch ruhig aber ist der zweite Ort, der mit dem Attentat verbunden ist: das Hotel Christl.
Das vor einem Jahr zu einem Flüchtlingsheim umgewandelte Haus gleicht seit vier Wochen einer Trutzburg. Das „L“ von Christl ist kaputt und viele Vorhänge sind zugezogen. Das gelbe dreistöckige Haus liegt mitten in einem Wohngebiet, der Weg führt über die Mozartstraße, die Beethovenstraße schließlich auf die Richard-Wagner-Straße. Von der Terrasse der ehemaligen Hotelzimmer hat man einen beeindruckenden Blick auf die Stadt und Weinberge. Aber sowohl tagsüber als auch nachts seien hier kaum noch Flüchtlinge zu sehen, sagen Anwohner. Sie müssen beschützt werden, zwei Sicherheitsmänner bewachen das Heim rund um die Uhr. Die Stadt zieht jetzt die Konsequenz: „Das Hotel soll in den kommenden Wochen geschlossen werden“, bestätigt Gabriele Ziegler, Sprecherin der Stadt Ansbach. Die Flüchtlinge müssen in ein anderes Heim umgesiedelt werden. „Es kann aber zu einem späteren Zeitpunkt wiedereröffnet werden, wenn sich die Zahl der Flüchtlinge wieder erhöht.“
Bewohner des Hotel Christl freuen sich auf bevorstehenden Umzug
Im Hofgarten, neben dem Fußballfeld, wo der Libanon gerade verloren hat, sitzen zwei Bewohner des Hotel Christl, die Eritreer Amin und Abdelfatah. Sie müssen an diesem Wochenende ihre Sachen packen. Sie sind eher froh, dass sie bald umziehen dürfen – schließlich liegen die neuen Räume in der Draiststraße näher am Residenzpark, näher an der Innenstadt, auch näher am Fußballplatz, dort, wo Freundschaftsspiele an der Tagesordnung sind. „Aber vor allem“, sagt der 23 Jahre alte Amin, „müssen wir nicht mehr in dem Ort leben, von dem alle denken, da kommt der Terror her.“
Den Attentäter Mohammad D. nennen sie nicht beim Namen, sie sagen „der Verrückte mit der Bombe“. „Er hat den Ruf von allen Flüchtlingen beschädigt“, sagt Abdelfatah. „Muslime sind keine Terroristen.“ Der Attentäter sei im Hotel isoliert gewesen. „Er war der einzige Syrer, die anderen kommen aus Eritrea oder Pakistan“, sagt Abdelfatah. Niemand habe Arabisch mit ihm gesprochen. „Er wohnte in Zimmer 30, im dritten Stock, im einzigen Einzelzimmer.“
Einzelzimmer gab Täter Möglichkeit zum Bombenbau
Die Ermittlungen ergeben später, dass Mohammad D. sogar im einzigen Einzelzimmer für einen Flüchtling in ganz Ansbach gewohnt hat. Nur so konnte er unbemerkt eine Bombe bauen. Inzwischen hat die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe die Ermittlungen übernommen, genau wie im Fall von Würzburg. „Wir haben den Fall übernommen“, sagt eine Sprecherin, „weil es den Verdacht gibt, dass die beiden Attentäter nicht allein gehandelt haben.“ Ein Video ist aufgetaucht, in dem sich D. mit dem IS identifiziert. Aber könnte es Mitwisser oder Komplizen gegeben haben? Im Hotel Christl? Davon geht derzeit niemand aus.
Die Nacht des Attentats war auch für die Einwohner des Heims ein Trauma. „Gegen Mitternacht sind sie in unsere Zimmer gestürmt“, erzählt Abdelfatah, „wir mussten uns auf den Boden legen und sie haben uns die Hände hinten zusammengebunden.“ Nach ein bis zwei Stunden nahmen die Polizisten den Flüchtlingen die Kabelbinder wieder ab, sie mussten ihre Räume verlassen. „Es hat Stunden gedauert“, wirft Amin ein, „bis wir überhaupt wussten, was passiert war.“ Sie hätten die Beamten auf Englisch gefragt: „Was ist das Problem?“ Die Antwort: „Big Problem.“
Amin war während seiner Flucht in Libyen vier Mal im Gefängnis. „Ich dachte, ich muss wieder in Haft“, sagt er. In dieser Woche am Mittwoch kamen die Polizisten noch einmal. „Sie haben unsere Fingerabdrücke genommen“, sagt Amin. Es hat sicher mit dem „Verrückten mit der Bombe“ zu tun.
Ansbach ist wieder ein ruhiger Ort
Ansbach vier Wochen nach dem Attentat ist wieder ein ruhiger Ort. Die Flüchtlingsarbeit läuft weiter, es soll laut Organisation „SonnenZeit“ mehr Ehrenamtliche geben als zuvor. Sie können eine Eins-zu-eins-Betreuung organisieren, für Behördengänge, für das Sprachtandem – oder einfach fürs Schachspielen. Jetzt im Sommer findet neben dem Konzertgelände ein Freiluftkino statt. Es ist jeden Abend gut besucht. Der Sicherheitsdienst sagt: „Wir schauen schon genauer hin, wenn jemand mit einem Rucksack kommt.“
100 Meter vom Kino entfernt baut Norbert Imschloß Abend für Abend die Stühle auf. Wenn jemand zu nahe am roten Auto sitzt, sagt er: „Sie sitzen jetzt da, wo der Attentäter gesessen hat.“ Er lacht dann und sagt, er habe „die Sache“ zu 80 Prozent verarbeitet. Nur manchmal, wenn Gäste bis nachts um eins bleiben und Glück haben, spielt er dieses Lied von Jacques Brel, es handelt von Freundschaft und Liebe. Er hat es am Abend nach dem Attentat gespielt. „Meine Mutter sagte immer: Gegen Traurigkeit hilft nur Musik.“