Berlin. Das zuständige Bundesamt hat schnellere Asylverfahren versprochen. Eingetreten ist das Gegenteil: Die Bearbeitungszeit wird länger.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg braucht entgegen eigener Zusagen immer länger, um Asylverfahren abzuschließen. 7,3 Monate dauerte es durchschnittlich im zweiten Quartal 2016, bis über einen Asylantrag entschieden wurde. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Parlamentsanfrage hervor, die unserer Redaktion vorliegt. Im ersten Quartal 2016 hatte das BAMF im Schnitt sechs Monate für ein Asylverfahren benötigt, im vierten Quartal 2015 waren es 5,1 Monate gewesen.
Besonders lange dauert es bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die im zweiten Quartal durchschnittlich 10,1 Monate auf eine Asylentscheidung warten mussten. Zudem steigt die Zahl der „Altfälle“, die seit mehr als 18 Monaten auf ihren Asylentscheid warten: Am Ende des erstens Quartals 2016 waren es noch 55.341 Menschen, am Ende des zweiten Quartals bereits 60.291.
Das Versagen der Asylbehörden
Frank-Jürgen Weise hat es geahnt. Vor fast einem Jahr war der Chef der Bundesagentur für Arbeit an die Spitze des Bundesflüchtlingsamts BAMF berufen worden, um das Chaos zu beseitigen, das die Flüchtlingskrise in dieser Behörde angerichtet hatte. „Wenn einer es schafft, dann der Weise!“, hieß es damals in der großen Koalition, aber auch unter den Ministerpräsidenten.
Weise war ihre große Hoffnung, er sollte sie aus der Verwaltungs- und Vertrauenskrise hinausführen, die entstanden war, weil das BAMF nicht in der Lage war, mit so vielen Anträgen auf Asyl umzugehen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte zu wenig Personal und war organisatorisch überfordert. Der 64-jährige Manager sollte ein ähnliches Wunder vollbringen wie zuvor bei der Reform der Bundesagentur für Arbeit.
Weise hat gewusst, dass der Satz, mit dem ihm die Politik Wunderkräfte verlieh, einen zweiten Teil hatte: „Und wenn der Weise es nicht schafft, ist er auch daran schuld.“ Der Behördenchef macht sich keine Illusionen, dass er noch zum Buhmann werden kann. Jetzt, da es ein Jahr her ist, dass so viele Flüchtlinge wie seit Jahrzehnten nicht nach Deutschland kamen, könnte es tatsächlich so kommen. Im Dezember hört Weise beim BAMF auf – seine Nachfolgerin wird Jutta Cordt, bislang Regionalchefin der Arbeitsagentur in Berlin-Brandenburg – aber die Erfolge beim BAMF stellen sich nicht ein. Jedenfalls nicht so, wie es Weise, aber auch die Politik gern hätten. Das Asylchaos erweist sich als hartnäckiger als gedacht. Die Lage ist nicht schlimmer geworden, aber auch nicht besser. „Im Moment ist es noch ein angespannter Zustand“, sagt Weise selbst.
Die Bearbeitung der Asylanträge dauert länger
Sichtbarstes Zeichen für die angespannte Lage ist die Dauer der Asylverfahren. Ulla Jelpke, die innenpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, hat von der Bundesregierung erfragt, wie lange das BAMF aktuell dafür braucht, einen Asylantrag zu bearbeiten. Das Ergebnis: Durchschnittlich 7,3 Monate im zweiten Quartal – im Gegensatz zu 5,1 Monaten Ende 2015. So lange wie jetzt – mehr als sieben Monate – brauchten die Bearbeiter des BAMF zuletzt vor der großen Flüchtlingskrise. Ziel der BAMF-Reform war es, die Bearbeitungszeit auf durchschnittlich drei Monate zu senken.
Für Linke-Politikerin Jelpke ist deshalb klar: „Das Bundesamt kriegt es nicht hin.“ Wenn die Asylverfahren trotz der vielen Neueinstellungen wieder länger dauerten und sich der Rückstau unerledigter Verfahren weiter erhöhe, dann „ist das ein klares Zeichen von Missmanagement“, sagt Jelpke.
Das Bundesamt selbst weist diesen Vorwurf von sich. Die meisten schnell zu bearbeitenden Fälle seien erledigt, gerade würden die schwierigen Fälle abgearbeitet, bei denen Pässe und andere Dokumente fehlen. Aktuell stapeln sich in der Behörde eine halbe Million nicht entschiedener Verfahren. „Die Verfahrensdauer wird deutlich sinken, wenn die Altfälle abgeschlossen sind“, sagt eine Sprecherin des BAMF. Anträge, die seit Juli 2015 gestellt wurden, würden schon jetzt in durchschnittlich 3,8 Monaten bearbeitet.
Flüchtlinge aus Somalia warten im Schnitt fast zwei Jahre
Tatsächlich ist die Bearbeitungsdauer der Asylanträge sehr unterschiedlich. Nur bei den Syrern wird die Vorgabe erreicht, das Asylverfahren nach rund drei Monaten abzuschließen. Iraner dagegen müssen mehr als eineinhalb Jahre darauf warten, Flüchtlinge aus Somalia im Durchschnitt sogar fast zwei Jahre. Lange dauert es auch bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, die durchschnittlich zehn Monate auf eine Asylentscheidung warten müssen. Und die Zahl der „Altfälle“, die seit mehr als 18 Monaten auf ihren Asylentscheid warten, ist auf rund 60.300 gestiegen.
„Es kann nicht sein, dass immer mehr Asylsuchende immer länger auf eine Entscheidung warten müssen“, kritisiert Jelpke. Das verstoße gegen eine EU-Richtlinie, wonach die Entscheidung binnen eines halben Jahres fallen müsse. Die Bundesregierung widerspricht in diesem Punkt nicht, verweist aber darauf, dass sie die Richtlinie erst in zwei Jahren, im Juli 2018, tatsächlich umgesetzt haben muss.
Für Jelpke ist das ein „inhumaner Umgang“ mit Flüchtlingen. Sie fordert, dass das Asylverfahren für Flüchtlinge, die ziemlich sicher anerkannt werden, wieder nur schriftlich ablaufen soll. Das aufwendige persönliche Gespräch könnte man sich sparen. Jelpke fordert sogar eine „Altfallregelung“ und zwar „in Form der Anerkennung von Antragstellern, die schon über ein Jahr auf einen Bescheid warten“. Soll heißen: Wer mehr als ein Jahr auf das Ergebnis seines Asylantrags warten muss, soll automatisch anerkannt werden. Derzeit träfe das auf 102.000 Flüchtlinge zu.
Das Dublin-Verfahren funktioniert nicht
Eine weitere Entwicklung muss die Bundesregierung eingestehen: Es ist schwierig, Flüchtlinge in ein Nachbarland zurückzuschicken, wenn sie sich dort und nicht in Deutschland das erste Mal registrieren ließen. Nach dem sogenannten Dublin-Verfahren muss ein Flüchtling in dem EU-Land Asyl beantragen, in dem er zuerst registriert wurde.
Wie aus der Antwort des Bundesinnenministeriums auf Jelpkes Anfrage hervorgeht, führt das Dublin-Verfahren dazu, dass Deutschland deutlich mehr Flüchtlinge aus den Nachbarländern aufnimmt, als es dorthin zurückschickt. So wurden im zweiten Quartal dieses Jahres genau 3553 Menschen bei sogenannten Überstellungen aus den Niederlanden, Schweden oder anderen EU-Staaten entgegengenommen. Andererseits konnten nur 853 Menschen nach Ungarn, Italien oder in andere EU-Staaten zurückgeschickt werden. Im ersten Quartal dieses Jahres war die Differenz ähnlich groß, Ende des Jahres 2015 dagegen waren Überstellungen und Übernahmen annähernd ausgeglichen.
Besonders hartnäckig scheinen sich die Länder auf der Balkanroute zu weigern, Flüchtlinge zurückzunehmen. So bat die Bundesregierung die Behörden in Ungarn im zweiten Quartal in 3300 Fällen darum. In nur 90 Fällen kam es dann zu einer Überstellung. Andererseits wurde Deutschland von Frankreich aufgefordert, 1460 Flüchtlinge zurückzunehmen, aber nur 135 wurden überstellt.
Innenpolitikerin Jelpke zieht daraus den Schluss, ganz auf die Dublin-Regelung zu verzichten: „Dieses Hin- und Herschieben von Menschen nützt sowieso niemandem, und für die Betroffenen ist es reine Schikane.“ Die EU müsse andere Mechanismen für eine gerechte Lastenaufteilung finden, die nicht auf die Kosten der Schutzsuchenden gingen.
Auch die Bundesregierung plädiert für eine Reform des Dublin-Verfahrens – aber so, dass Asylbewerber künftig in jedem Fall in das Land zurückgebracht werden, in dem sie zuerst registriert wurden. Bisher scheitert dies oft daran, dass die Flüchtlinge dagegen klagen und in Deutschland bleiben können, bis das Gerichtsverfahren zu lange dauert. Tauchen sie unter, muss das Verfahren nach 18 Monaten in Deutschland stattfinden.
Viele Abschiebungen scheitern in letzter Minute
Selbst wenn das Asylverfahren beendet ist und Flüchtlinge ausreisen müssten, können sie unter Umständen doch noch im Land bleiben – selbst wenn sie schon im Flugzeug sitzen. So wurden seit Anfang 2015 rund 600 Abschiebungen aus Deutschland per Flugzeug im letzten Moment gestoppt. In 330 Fällen geschah das allein deshalb, weil sich die Betroffenen heftig wehrten. Auch das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linke-Fraktion hervor, wie die „Bild“-Zeitung berichtet. In 160 Fällen weigerten sich Fluglinien oder Piloten, die Migranten mitzunehmen. In 37 Fällen lehnten es die Zielstaaten ab, die Asylbewerber wieder aufzunehmen. In der gleichen Zeit waren immerhin knapp 33.000 Abschiebungen über den Luftweg erfolgreich – knapp drei Viertel der Menschen wurden in die Balkanstaaten zurückgeführt.
Manchmal liegt es aber nicht nur an den Flüchtlingen, dass eine Abschiebung scheitert. Am Mittwoch fing ein Mann, der von Brüssel aus nach Kamerun geschickt werden sollte, im Flugzeug an zu schreien. Zwei Deutsche stimmten ein und probten den Aufstand. Sie alle mussten die Maschine verlassen. Ein neuer Versuch soll diese Woche noch stattfinden.