Berlin. Islamforscher Bassam Tibi kritisiert die Flüchtlingspolitik scharf: Die Kanzlerin habe kein Konzept, die Integration sei gescheitert.

  • Islamforscher Bassam Tibi kritisiert die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung scharf
  • Die Kanzlerin habe kein Konzept, die Integration sei aus seiner Sicht gescheitert
  • Der Professor ist selbst Moslem, setzt sich kritisch mit der Religion auseinander

Der Nahost- und Islam-Experte Bassam Tibi (72) wurde in Syrien geboren. Anfang der 60er-Jahre kam er nach Deutschland. Mit 28 Jahren wurde er Professor für Internationale Beziehungen an der Uni Göttingen. Tibi lehrte unter anderem auch in Harvard und New York. Er prägte die Begriffe „Leitkultur“ und „Euro-Islam“. Heute setzt sich Tibi, selbst Moslem, sehr kritisch mit dem Islam auseinander.

Professor Tibi, die Bundeskanzlerin hat kürzlich ihren Satz aus dem Sommer 2015 zum Flüchtlingsandrang wiederholt: ,Wir schaffen das’. Was dachten Sie, als Sie das hörten?

Bassam Tibi: Ich war entsetzt über Frau Merkels Unfähigkeit zu Lernen. Der deutsche Soziologe Max Weber hat einmal drei Voraussetzungen für politisches Handeln benannt: Augenmaß, Verantwortungsgefühl und sachliche Leidenschaft. Bei der Bundeskanzlerin vermisse ich alle drei Eigenschaften. Sie hat kein Konzept. ,Wir schaffen das’ ist kein Politikkonzept. Und dies angesichts der existenziellen Herausforderung, die die Migrationsbewegung für Deutschland und Europa darstellt. Frau Merkel hat nur leere Formeln zu bieten. Und in der EU sieht es nicht anders aus.

Was ist denn aus Ihrer Sicht die Kernfrage, um die sich deutsche und europäische Politiker bei der Zuwanderung kümmern müssen?

Tibi: Wir erleben eine globale Flüchtlingskrise. 65 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, das ist eine offizielle Zahl der UN. Es gibt große Flüchtlingsströme Richtung Europa. Aber Europa steht dem hilflos gegenüber. Hierzulande halten Politiker es schon für ein Konzept, wenn sie Unterbringung, Sprachkurse und Alimentation für die Zuwanderer organisieren. Aber es geht um echte gesellschaftliche Eingliederung. Und da kann ich keine Ansätze erkennen.

Ist das Scheitern der Integration also Schuld der deutschen Gesellschaft?

Tibi: Es gibt in der deutschen Gesellschaft eine Unfähigkeit zur Integration. Aber genauso gibt es bei vielen Zuwanderern eine Unwilligkeit, sich hier zu integrieren. Sehen Sie, 95 Prozent der Flüchtlinge, die zu uns kommen, kommen aus der Welt des Islam. Ihre Bereitschaft, sich in unsere Gesellschaft einzugliedern und die Regeln unserer Gesellschaft anzuerkennen, ist sehr begrenzt. Die Folge ist, dass Parallelgesellschaften entstehen.

Malen Sie da das Bild von der Integration nicht zu schwarz?

Tibi: Überhaupt nicht. Das haben wir doch gerade erst in Köln erlebt. Dort gingen Zehntausende Menschen für die türkische Regierung auf die Straße. Diese Türken haben deutsche Pässe und dennoch sagen sie, dass Erdogan ihr Präsident ist. Das ist eine Parallelgesellschaft, und Parallelgesellschaften sind der Beweis für eine gescheiterte Integration.

In der Silversternacht kam es unter anderem in Köln zu zahlreichen Übergriffen, viele davon von Flüchtlingen.
In der Silversternacht kam es unter anderem in Köln zu zahlreichen Übergriffen, viele davon von Flüchtlingen. © dpa

Waren die Ereignisse in der Silvesternacht auch Ergebnis von Parallelgesellschaften?

Tibi: In gewisser Weise schon. Da waren Tausend junge Männer aus muslimischen Ländern, die versucht haben, sich bei Frauen auszutoben. Dabei ging es nicht in erster Linie um Sex. Es war eine Protestaktion frustrierter Männer, deren Erwartungen an Deutschland insgesamt nicht erfüllt wurden. Es gibt keine Arbeit, kein Geld, kein tolles Leben. Dennoch war die Aktion gezielt.

In welcher Weise?

Tibi: In der islamischen Welt ist es so: Wenn man einen Mann erniedrigen will, erniedrigt man seine Frau. Oder seine Schwester, oder seine Mutter. Und zwar indem man sie vergewaltigt. Das war in der Silvesternacht in Köln das gleiche Prinzip. Die Täter von Köln wollten im Grunde gar nicht die Frauen treffen, die sie ohnehin aufgrund ihrer freizügigen Lebensweise für Schlampen und Freiwild halten, sondern die Männer. Es ging also letztlich um Macht.

Was Sie sagen, klingt alles nicht gerade optimistisch für jemanden, der vor mehr als 20 Jahren den Begriff vom reformierten Euro-Islam geprägt hat.

Tibi: Es stimmt, diesen Begriff habe ich geprägt. Aber heute muss ich sagen: Ich kapituliere. Den Euro-Islam wird es nicht geben. Er war eine schöne Hoffnung, aber die Realität ist leider eine andere. Das deutsche Modell, in dem die organisierte Religion von der Institution Amtskirche getragen wird, lässt sich nicht auf den Islam übertragen. Das wird nie gelingen.

Stattdessen haben Sie nun den Begriff vom Kopftuch-Islam geprägt. Was meinen Sie damit?

Tibi: Vorab: Ich habe keinerlei Einwände gegen religiöse Kleidung. Das Kopftuch kann Volkstracht sein, oder auch Ausdruck einer religiösen Einstellung. So war es übrigens bei meiner Mutter in Damaskus. Dagegen ist nichts zu sagen. Was ich aber ablehne ist das Kopftuch als zivilisatorische Abgrenzung, als Demonstration des Willens, nicht dazugehören zu wollen. Dann ist das Kopftuch ein politisches Symbol der Abgrenzung, eine islamische Uniform. Und das ist das Gegenteil von Integration.

Lautet ihr Fazit, dass die Integration von Migranten, speziell aus der islamischen Welt, zum Scheitern verurteilt ist?

Tibi: Es ist noch nicht zu spät. Aber es ist fünf vor zwölf. Europa muss dringend ein Konzept für den Umgang mit muslimischen Migranten entwickeln, das diesen Namen verdient. Wie gesagt: Eine Unterkunft und ein Deutschkurs reichen da nicht. Es geht um gesellschaftliche, kulturelle und politische Eingliederung. Gelingt das nicht, werden die Parallelgesellschaften sich ausweiten. Dann drohen Zustände wie in den Banlieus, den Vorstädten von Paris oder Marseille.