Rio de Janeiro. Olympia startet bald – und das Ausrichterland hat nicht richtig Lust darauf. Das liegt vor allem an der Regierungskrise in Brasilien.
Im Fußball würde man von einem Abstauber sprechen. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva holte 2009 die Olympischen Spiele nach Rio de Janeiro – und setzte sich damit auch gegen US-Präsident Barack Obama und Chicago durch. Nachfolgerin Dilma Rousseff pumpte viel Geld in das Projekt.
Dann verbündete sich ihr Vizepräsident mit der Opposition und stürzte Rousseff. Nun darf Michel Temer am Freitag im Maracanã die Formel sprechen: „Ich erkläre die XXXI. Olympischen Spiele für eröffnet.“
Um beim Fußball zu bleiben: Das Trauma des 1:7 im Halbfinale bei der WM 2014 gegen Deutschland hat sich in die brasilianische Seele eingegraben. Als Menetekel für den Verlust des Selbstbewusstseins, des Abstiegs. Eine Lethargie hat sich über das fünftgrößte Land der Welt gelegt. Die Wirtschaft brach um 3,8 Prozent ein, 2016 wird es ähnlich schlimm. 11,5 Millionen Arbeitslose. Rousseff war zur Schuldigen geworden. Ihre Suspendierung, vor allem wegen Bilanztricks beim Staatshaushalt, sollte den Umschwung bringen.
Nur noch ein Wunder kann Rousseff retten
Nach den Olympischen Spielen wird der Senat sie wahrscheinlich dann endgültig des Amtes entheben, sie hat im Rahmen der juristischen Prüfung versucht, Vorwürfe zu entkräften. Aber es kamen neue Sachen zu dubiosen Geldtransfers hoch – sie kann nur noch ein Wunder retten. Temer könnte beim G20-Gipfel Anfang September in China erstmals die internationale Bühne betreten. Bisher ist er vielen noch unbekannt.
Er würde bis 2019 im Amt bleiben, Temer will die linke Arbeiterpartei nach 13 Jahren an der Macht dauerhaft aus der Regierung verdrängen. Eine Zäsur. Seine Mitte-Rechts-Regierung hat aber auch schon drei Minister verloren, unter anderem wegen Korruptionsvorwürfen. Nur 14 Prozent bescheinigen dem Juristen bisher eine gute Amtsführung. Aufbruchstimmung? Fehlanzeige. Aber der 75-Jährige hat einen Trumpf: Finanzminister Henrique Meirelles, unter Lula Chef der Zentralbank.
Meirelles hat das Vertrauen der Märkte zurückgewonnen, die brasilianische Währung Real hat sich deutlich stabilisiert. Auch für 2017 wird noch mit einem hohen Defizit von 42 Milliarden Dollar geplant, um nicht durch einen zu starken Sparkurs, den so wichtigen Binnenkonsum weiter abzuwürgen. Zudem will der Finanzminister eine Schuldenbremse einführen, mit der die Ausgaben des Staates gedeckelt werden, immer abhängig von der Inflationsrate. Zu lange hat Brasilien auf Öl gebaut - die Einnahmen sind weggebrochen.
Immer wieder auf und ab
Um die Staatskosten in den Griff zu bekommen, die Freiräume für Investitionen in die marode Infrastruktur und Bildung einschränken, kämpft er für eine Rentenreform. Brasilianer können oft schon mit 55 Jahren bei vollen Bezügen in Rente gehen. Mit weniger Bürokratie, der Straffung des Staatsapparats und Privatisierungen sollen die Ausgaben deutlich gesenkt werden. Deutsche Unternehmen wie der Flughafenbetreiber Fraport haben Interesse an Beteiligungen.
Angesichts weltweiter Krisen kann Brasilien auch wieder zu einem Hoffnungsland werden – es war immer Auf- und Ab-Zyklen unterworfen. Das Land gehört weiterhin noch zu den Top Ten der Wirtschaftsmächte. Gesellschaftspolitisch haben sehr religiöse, evangelikale Gruppen nun starken Einfluss in der Regierung, die Frauenbeauftragte Fátima Pelaes setzt sich zum Beispiel für ein Abtreibungsverbot für Frauen auch bei Vergewaltigungen ein.
Außenpolitisch war das BRICS-Land zuletzt wegen der Krise etwas abgetaucht. Dabei hatte sich Brasilien zu einer wichtigen Gestaltungsmacht auf dem internationalen Parkett entwickelt und spielte etwa eine Schlüsselrolle bei Klimaschutzverhandlungen.
Die ganze politische Klasse ist diskreditiert
Temer ist bemüht, nicht mit der Errungenschaft von Lula/Rousseff zu brechen, den üppigen Sozialtranfers. Rund 40 Millionen Menschen wurden so aus der Armut geholt. So kündigte Temer eine Erhöhung der Familiensozialhilfe (Bolsa Familia) um 12,5 Prozent an – sie bekommen 14 Millionen Familien. Bisher sind das rund 45 Euro im Monat.
Aber wie ein Schatten schweben die Korruptionsermittlungen um Schmiergelder bei Auftragsvergaben des Petrobras-Konzerns auch über dieser Regierung. Die ganze politische Klasse ist diskreditiert – aber die Aufräumarbeiten der Justiz können einen Reinigungsprozess einleiten. Sie ist die Instanz mit dem größten Ansehen. Ein junges Team von Staatsanwälten ermittelt ohne Rücksicht auf großen Namen.
Trotz viel Blues: Proteste wie vor der Fußball-WM gibt es vor Olympia nicht – obwohl die Investitionen von 10,5 Milliarden Euro in Rio vor allem dem von der weißen Ober- und Mittelschicht bewohnten Stadtteil Barra zugute kommen. Hier wurde der Olympiapark errichtet - und eine neue Metro führt hier hin. Verlierer sind die Favelas im Norden, wo Drogengangs erstarken, es an guter Bildung, Gesundheitsversorgung und auch an Kläranlagen mangelt. Die Lage ist fragil. Ob die Eröffnung der Spiele für Temer ein Vergnügen wird, muss sich zeigen. Er gilt vielen als Verräter - ein Pfeifkonzert vor aller Welt wäre peinlich. (dpa)