Washington. .

Es geschieht so gut wie nie, dass amerikanische Präsidenten im Ausland innenpolitische Zustände anprangern. Nun hat Barack Obama beim G7-Gipfel in Japan eine Ausnahme gemacht. Dies illustriert, wie groß die Sorge im Washingtoner Parteien-Establishment ist, dass im Herbst eintreten könnte, was die allermeisten Experten und Medien noch vor kurzem für undenkbar hielten: die Wahl Donald Trumps zum neuen Präsidenten Amerikas. An die Adresse seiner Landsleute gerichtet sagte Obama, die Führer der großen Industrie-Nationen seien über den New Yorker Bauunternehmer „erschüttert“, „verunsichert“ und „aufgeschreckt“.

In einigen Umfragten liegt Trump vor Clinton

Dass diese Mahnung bei Wählern daheim so bald verfängt, ist unwahrscheinlich. In Umfragen liegt der für die Republikaner antretende Milliardär im virtuellen Wettbewerb mit seiner mutmaßlichen Kontrahentin Hillary Clinton inzwischen gleichauf. Einige Erhebungen, zum Beispiel vom Meinungsforschungsinstitut Rasmussen oder vom Fernesehsender ABC, sehen ihn sogar vorn. Monatelang hatte die Demokratin zum Teil mit deutlichem Vorsprung geführt. „Man muss sich an die Vorstellung gewöhnen“, schreiben Leitartikler, „dass Trump am 8. November gewinnen kann.“

Seine Ausgangsposition vor den letzten Vorwahlen am 7. Juni in Kalifornien ist günstiger als die Clintons. Trump hat die nötigen 1237 Delegierten-Stimmen bereits, um auf dem Parteitag in Cleveland Mitte Juli offiziell aufs Podest gehoben zu werden. Seit Trump die letzten Widersacher Ted Cruz und John Kasich zur Aufgabe gezwungen hat, geht der parteiinternen „Niemals Trump“-Bewegung der Sauerstoff aus. Das vor wenigen Wochen noch gewaltig erscheinende Anti-Trump-Lager hat sich in Luft aufgelöst.

Selbst erbitterte Gegner wie die Senatoren Lindsey Graham und Marco Rubio, die Trump bis zu ihrem Ausscheiden aus dem republikanischen Bewerberrennen als „minderbemittelt“ abgekanzelt hat, scharen sich heute aus Parteiräson und Clinton-Phobie bis zur Selbstverleugnung um den polarisierenden Geschäftsmann. „Es wäre eine Ehre für mich, auf dem Parteitag für Donald Trump zu sprechen“, sagt Marco Rubio. Trump hatte dem aufstrebenden Jungstar mit kubanischen Wurzeln aus Florida noch im Frühjahr nachgesagt, nicht einmal die Qualifikation zum Hundefänger zu besitzen.

Hillary Clinton dagegen ist sieben Wochen vor dem Nominierungsparteitag der Demokraten immer noch in der Logik der Vorwahlen gefangen. Der früheren Außenministerin fehlen gut 100 Delegiertenstimmen. Solange sie nicht die designierte Kandidatin ihrer Partei ist, sind ihr im Umgang mit dem stabilen Lager ihres linkspopulistischen Widersachers Bernie Sanders (74) Fesseln angelegt. Der Senator aus Vermont strickt an der Legende, er könne die Delegierten-Verhältnisse noch zu seinen Gunsten drehen und verspricht einen „chaotischen“ Parteitag. Wie als Ausweis für seine Strategie nimmt Sanders die Tatsache, dass Clintons Vorsprung von fast zehn Prozentpunkten gegenüber Trump auf null geschmolzen ist. Im Mittelwert liegen beide bei 43 Prozent.

Und Trump zieht alle Register, um die mäßigen Beliebtheitswerte Clintons weiter zu pulverisieren. Anstatt Sachthemen wie Steuer- oder Außenpolitik in den Vordergrund zu rücken, zielt Trump unter die Gürtellinie. Bill Clintons Frauenaffären in den 90er- Jahren, Verschwörungstheorien um den Selbstmord eines früheren Clinton-Mitarbeiters: Trump schreckt vor keiner Schmutzigkeit zurück, um den verbreiteten Eindruck zu festigen, Hillary Clinton sei eine Person mit einem elastischen Verhältnis zur Wahrheit. Auf dieses Konto zahlte gerade erst Clintons Ex-Arbeitgeber ein. Der Generalinspekteur des Außenministeriums schurigelte die 68-Jährige, bei der Verwendung eines privaten E-Mail-Kontos als Außenministerin regelwidrig und fahrlässig vorgegangen zu sein. Sollten Untersuchungen der Bundespolizei FBI ergeben, dass dabei Staatsgeheimnisse betroffen waren, wird der Druck auf das Justizministerium groß, Anklage gegen Clinton zu erheben. „Das könnte den ‚sudden death‘ für Clintons Kandidatur bedeuten“, sagen Vertreter von US-Denkfabriken in Anlehnung an einen Begriff aus dem Eishockey - „den plötzlichen Tod“.

Wie weit das Szenario in den Hintergrund getreten ist, das Clinton vor Wochen bereits als sichere Siegerin bei der Wahl im November prophezeit hatte, zeigt ihr defensiver Umgang mit der jüngsten Polit-Volte Trumps. Der bekennende Klimawandel-Leugner hat eine radikale Kehrtwende in der Energie-Politik angedroht, die Umweltschützer und Wissenschaftler frösteln lässt. Er will den Weltklimapakt von Paris aufkündigen, den Ausstieg aus der umweltschädigenden Kohleverstromung zurückdrehen und die umstrittene Gewinnung von Gas und Öl durch Fracking von allen Umwelt-Auflagen befreien. Eigentlich eine Steilvorlage, um den umweltbewussten Teil der Wählerschaft gegen Trump zu mobilisieren. Aber Clinton bleibt stumm, wie paralysiert.