Berlin. Das Sexualstrafrecht wird strenger. Doch was heißt die Festschreibung des Prinzips „Nein heißt Nein“ durch den Bundestag in der Praxis?
- Das Prinzip „Nein heißt Nein“ wird im Sexualstrafrecht festgeschrieben
- Das hat der Bundestag beschlossen
- Bald ist es strafbar, wenn sich der Täter über den „erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt
Es ist eine der größten Reformen des Strafrechts der letzten Jahrzehnte und für viele Frauenrechtler ein historischer Schritt: Mit der Änderung des Sexualstrafrechts wird der Grundsatz „Nein ist nein“ verankert. Damit macht sich künftig nicht nur strafbar, wer Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt – von nun an reicht es für eine Verurteilung aus, wenn sich der Täter über den erkennbaren Willen des Opfers hinwegsetzt. Mit den Stimmen von Union und SPD beschloss der Bundestag gestern zudem weitere Strafverschärfungen für sexuelle Übergriffe – durch Grapscher und aus Gruppen heraus. Was ändert sich im Einzelnen? Und wo weckt die Reform falsche Hoffnungen?
„Nein ist nein“
Jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen des Opfers ist künftig strafbar. Das Opfer muss nicht Nein sagen, es reicht aus, wenn die Ablehnung, etwa durch Weinen, Kopfschütteln oder eine abwehrende Handlung, deutlich erkennbar ist. Fälle, in denen das Opfer seinen Willen nicht erklären konnte, weil es überrascht wurde, weil es schlief oder etwa durch K.-o.-Tropfen betäubt worden war, oder weil es aus Angst zugestimmt hatte, sind ebenfalls strafbar. Ein schlecht gelauntes „Muss das sein?“ dagegen reicht Experten zufolge nicht als erkennbares Nein.
Die Koalition verspricht sich von der Reform eine abschreckende Wirkung: „Nein ist nein – diese Botschaft wird das Strafgesetz in die Gesellschaft tragen“, sagte CDU-Rechtspolitikerin Elisabeth Winkelmeier-Becker am Donnerstag im Bundestag. Doch so einhellig die Reform von allen Fraktionen im Parlament begrüßt wird – Fachleute warnen davor, die Wirkung zu überschätzen.
Es werde auch mit den neuen Bestimmungen Beweisprobleme geben, sagt die Rechtswissenschaftlerin Monika Frommel. Die ehemalige Direktorin des Kieler Universitätsinstituts für Sanktionsrecht und Kriminologie rechnet damit, dass die Staatsanwaltschaften viele der schwierigen Verfahren abkürzen und gegen Geldbuße einstellen werden. Die Berliner Strafrechtlerin Tatjana Hörnle weist zudem darauf hin, dass es bislang nur wenige Fälle gab, bei denen die Beweislage gut war, aber die Rechtslage keine Verurteilung zuließ. In den meisten Fällen scheitere eine Verurteilung an mangelnden Beweisen. „Das wird so bleiben.“
Manche Kritiker befürchten darüber hinaus, dass es künftig zu mehr Falschbeschuldigungen kommt – etwa durch Frauen, die nach einer gemeinsamen Nacht ihre Entscheidung bereuen und den Sexpartner anzeigen. Den Rechtspolitikern der Koalition ist das Problem klar: Bei einvernehmlichem Sex, aber auch bei den meisten sexuellen Übergriffen gibt es selten Zeugen. „Zwei Menschen stehen sich gegenüber. Ja, das produziert Beweisschwierigkeiten. Das wird sich auch nicht ändern“, sagt SPD-Rechtsexpertin Eva Högl. Ihre CDU-Kollegin erinnert an den Rechtsgrundsatz der Unschuldsvermutung: „In dubio reo – das bleibt“, sagte Winkelmeier-Becker.
Übergriffe aus Gruppen
Kritiker sprechen vom „Köln-Paragrafen“: Mit einem neuen Straftatbestand soll in Zukunft sexuelle Gewalt aus Gruppen heraus schärfer bestraft werden. Verabredet sich eine Gruppe zu einer Straftat, etwa zum Handyklau, und passieren aus dieser Gruppe heraus sexuelle Übergriffe, so macht sich auch derjenige wegen des Sexualdelikts strafbar, der nichts tat, aber zur Gruppe gehörte. Der umstrittene Passus im neuen Sexualstrafrecht – der immerhin bis zu zwei Jahre Haft vorsieht – geht auf die massenhaften Übergriffe in der Kölner Silvesternacht zurück.
Vor allem die Grünen übten am Donnerstag harsche Kritik daran – die Regelung sei „populistisch“: „Niemand darf wegen einer Straftat verurteilt werden, die er selber nicht begeht. Das muss auch bei Sexualdelikten gelten“, sagte Renate Künast dieser Zeitung. Für die Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses steht fest: „Diese Regelung ist verfassungswidrig.“ Auch in den Augen der Linke-Fraktion ist die Regelung „Murks“. Beide Fraktionen enthielten sich schließlich bei der Abstimmung über das Gesamtpaket.
Für die SPD dagegen ist der „Köln-Paragraf“ ein Zugeständnis an die Union, die Sozialdemokraten haben nach wie vor Bauchschmerzen mit der Lösung: „Wir halten diese Regelung für unnötig, weil das geltende Recht ausreichend ist“, sagte SPD-Rechtspolitikerin Högl nach der Abstimmung dieser Zeitung. „Auch jetzt schon steht Beihilfe und Anstiftung unter Strafe.“
Grapscher-Paragraf
Neu ins Strafgesetzbuch kommt ein sogenannter Grapscher-Paragraf: Wer einen anderen „in sexuell bestimmter Weise“ körperlich berührt und dadurch belästigt, wird künftig mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren bestraft. Das heißt: Der flüchtige Griff an die Brust oder an den Po ist künftig kein Bagatelldelikt mehr, sondern eine Straftat. „Grapschen ist kein Flirten. Das muss jetzt auch der Letzte begreifen“, sagt SPD-Frauenpolitikerin Carola Reimann. Die Opferschutzorganisationen wie der Weiße Ring erwarten von der Reform eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Täter. Wenn „Busengrapschen“ strafrechtlich verfolgt wird, so argumentieren viele, werde sich mancher Täter auf Volksfesten, im Bierzelt oder im Gedränge auf Konzerten überlegen, was er tut.