Istanbul. Der Terror-Angriff auf den Atatürk-Flughafen trägt die Handschrift der Terrormiliz IS. Augenzeugen schildern den brutalen Angriff.
Reisende mussten vorbei an Absperrbändern, um zu den Check-in-Schaltern des internationalen Terminals zu gelangen. Vorbei an dem Ort, wo noch ein paar Stunden zuvor ein brutaler Anschlag auf Touristen verübt worden war. Teile der Deckenverkleidung waren herabgestürzt, die Wände rußgeschwärzt, in einigen Scheiben waren Einschusslöcher zu sehen. 44 Menschen starben, 239 erlitten teils schwerste Verletzungen. Wieder einmal traf es Istanbul, dieses Mal das wichtige internationale Drehkreuz. Wieder waren Zivilisten die Opfer. Noch in der Nacht begannen die Aufräumarbeiten am Istanbuler Flughafen Atatürk. Und schon am Mittwochmorgen wurde der Flugbetrieb wieder aufgenommen – eine erschreckende Routine.
Einer der Täter habe in der Abflughalle kurz vor 22 Uhr am Dienstagabend um sich geschossen, berichteten Augenzeugen.
Der aus Südafrika stammende Paul Roos schilderte den Angriff eines der Attentäter in der Abflughalle als „wahllose Schießerei“. „Er hat einfach auf jeden geschossen, der ihm in die Quere kam. Er war ganz in Schwarz gekleidet und nicht maskiert.“ Roos sagte, er sei nur 50 Meter entfernt von dem Angreifer gewesen. „Es gab zwei Explosionen – kurz hintereinander. Dann hat er aufgehört zu schießen. Er drehte sich um und kam auf uns zu. Er sah sich um, ob ihn jemand aufhalten würde, und dann lief er zum Aufzug. Wir hörten weitere Schüsse, dann noch eine Explosion, und dann war es vorbei.“ Alle drei Attentäter sprengten sich in der Nähe der Ankunftshalle eine Etage tiefer in die Luft. Die Polizei versuchte noch zwei der Angreifer durch Schüsse zu stoppen, bevor sie die Kontrollstelle in der Ankunftshalle erreichten. Doch die Attentäter zündeten ihre Sprengsätze. Unter den Getöteten waren nach türkischen Angaben 13 Ausländer. Eine Deutsche wurde verletzt.
Ein vierter Angreifer soll noch auf der Flucht sein
Noch während der Aufräumarbeiten werteten die Ermittler Zeugenaussagen und Aufnahmen der zahlreichen Überwachungskameras aus. Es gebe Hinweise, dass der Anschlag auf das Konto der IS-Terrormiliz gehe, sagte Ministerpräsident Binali Yildirim, der den Tatort am Morgen besuchte. Zum Anschlag hat sich bislang niemand bekannt. Nach ersten Ermittlungen der Polizei soll ein vierter Angreifer noch auf der Flucht sein.
Noch in der Nacht holten Busse Touristen ab und fuhren sie in Hotels, die ihre Zimmer zur Verfügung stellten. Zuvor hatten die Menschen stundenlang auf dem Rasen vor dem Haupteingang ausgeharrt. Nun warten sie in ihren Unterkünften auf weitere Informationen. Die Deutsch-Holländerin Katja Veen ist eine von ihnen. Sie wollte eigentlich nach Johannesburg. Am Telefon erzählt sie: „Mir wurde gerade gesagt, dass mein Flug auch für heute abgesagt ist.“ Weitere Informationen habe sie nicht.
Viele Reisende liegen erschöpft auf den harten Metallbänken im Flughafen. Andere sitzen auf ihren Koffern, starren vor sich hin. Der Brite Benjamin Merchant erzählt: „Ich habe auf dem Boden im Flughafengebäude geschlafen.“ Der 21-Jährige sei am Dienstagabend aus London gekommen und wollte eigentlich weiter nach Dubai fliegen. „Wir sind kurz nach dem Anschlag gelandet und haben vier Stunden lang im Flugzeug auf der Landebahn gewartet.“
Experte geht von IS-Anschlag aus
Die Metropole Istanbul steht immer wieder im Fadenkreuz der Extremisten: Im Januar zündete ein mutmaßlicher IS-Selbstmordattentäter inmitten einer deutschen Reisegruppe nahe der Blauen Moschee einen Sprengsatz und riss zwölf Menschen mit sich in den Tod. Im März sprengte sich ein IS-Terrorist auf der belebten Einkaufsstraße Istiklal Caddesi in die Luft. Vier israelische und ein iranischer Tourist starben. Anfang Juni wurden bei der Explosion einer Autobombe im Zentrum Istanbuls sechs Polizisten und fünf Passanten getötet. Zu dem Anschlag bekannte sich eine kurdische Terrorgruppe. Vier Anschläge schon in diesem Jahr.
Wie die türkische Regierung geht auch der Terrorismus-Experte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik davon aus, dass die Terrormiliz IS hinter dem Anschlag steckt. „Das hat vor allem den Grund, dass die Türkei seit ein-, eineinhalb Jahren aggressiver gegen den IS vorgeht. Seit das Land die Versorgungswege für den IS massiv stört, reagiert die Organisation aggressiv und erschüttert das Land im Mark“, sagte Steinberg dieser Redaktion.
Auch zwei Terrorismus-Spezialisten der US-Regierung erklärten, die Angriffsstrategie spreche für ein IS-Attentat. Die Miliz richtete ihren Terror in der Vergangenheit vor allem auf „weiche Ziele“ wie zufällig anwesende Passanten. Die kurdische PKK und deren Splittergruppen griffen das Militär oder Regierungsvertreter an.
Premierminister Yildirim sieht keine Sicherheitslücken
Der Istanbuler Atatürk-Flughafen gilt als gut gesichert. Es gibt Sicherheits- und Gepäckkontrollen vor dem Betreten der Abflughalle, nach dem Check-in und der Passkontrolle. Auch im Ankunftsbereich müssen die Abholer eine Sicherheitsschleuse passieren, bevor sie in das Terminal gelangen.
Nach Darstellung von Premierminister Yildirim gab es keine Sicherheitslücken. Die Attentäter seien mit einem Taxi zum Flughafen gefahren und vor der Sicherheitskontrolle erkannt worden, so die offizielle Version. Zeugenaussagen und ein im Internet kursierendes Video wecken jedoch Zweifel an dieser Version. Danach könnte es mindestens einem der Täter gelungen sein, in den Sicherheitsbereich vorzudringen.