Wien. .
Norbert Hofer war der Favorit. So war er gestartet – nach dem 24. April. So bestätigen es erste Hochrechnungen bei der österreichischen Präsidentschaftswahl am Sonntag. Aber sicher war sich der Kandidat selbst nicht. „Es könnte knapp werden“, sagte Hofer gestern, als er seine Stimme abgab.
Er sollte Recht behalten.
Hofer könnte der nächste, der siebte Präsident Österreichs werden. Aber gestern war der Siegeszug des Rechtspopulisten bloß ein Triumphzug im Konjunktiv und von Stunde zu Stunde immer fraglicher.
Laut Hochrechnungen, die die hunderttausenden Briefwahlkarten miteinrechnen, gibt es einen Gleichstand zwischen den Kandidaten. Beide kommen demnach auf exakt 50 Prozent. Ein Ergebnis wird es erst heute geben. Die Ungewissheit passt zu den Befindlichkeiten in der Alpenrepublik, die seit Monaten ein gespaltenes Land ist – spätestens seit der Flüchtlingskrise.
Der nächste Präsident Österreichs würde am 8. Juli vereidigt und die Nachfolge von Heinz Fischer antreten. Die Amtsdauer beträgt sechs Jahre. Das Staatsoberhaupt darf sich laut Verfassung nur einmal zur Wiederwahl stellen.
Die Briefwähler geben den Ausschlag
In die gestrige Stichwahl gegen den grünen Kandidaten Van der Bellen war Hofer mit deutlichem Vorsprung gegangen. Andererseits: Was besagt das schon bei einer Wahl, für die Erfahrungswerte fehlen und die in jeder Beziehung aus dem Rahmen fällt?
Denn: Erstmals haben es die Abonnement-Regierungsparteien, die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP, nicht bis zum entscheidenden Wahlgang geschafft. Und erstmals auch könnte mit dem 45-jährigen Hofer ein Rechtspopulist an die Spitze eines EU-Landes gewählt werden. So hatte die Wahl denn auch weit über die Grenzen der Alpenrepublik viel Aufmerksamkeit erregt.
Erste Wahllokale schlossen um elf Uhr am Vormittag. Endgültig Schluss war um 17.00 Uhr. Die Beteiligung lag über den 68,5 Prozent vom ersten Wahlgang. Bei den Hochrechnungen sind die Briefwähler noch gar nicht eingerechnet, sondern nur geschätzt. Das ist relevant. Immerhin hatten vor der Stichwahl rund 12,5 Prozent der 6,4 Millionen Österreicher über dem Wahlalter von 16 Jahren Briefwahl beantragt – der höchste Wert bisher. Deshalb wird das endgültige Endergebnis erst heute feststehen. Erst dann werden die Briefwahlstimme ausgezählt.
Veränderte Rahmenbedingungen
Mit 35,1 Prozent der Stimmen hatte Hofer die erste Runde der Bundespräsidentenwahl am 24. April haushoch gewonnen. Der 72-Jährige Van der Bellen war auf 21,3 Prozent gekommen. Seither hatten sich allerdings die Rahmenbedingungen dramatisch verändert. Nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Werner Faymann genießt die neue Regierung unter Christian Kern (SPÖ) größeres Ansehen. Wer vorher aus Protest gegen Faymanns Koalition die FPÖ wählen wollte, der könnte gestern milde gestimmt gewesen sein.
Österreichs Bundespräsident hat deutlich mehr Befugnisse als viele seiner europäischen Amtskollegen. Er hat nach Nationalratswahlen zumindest theoretisch freie Hand bei der Nominierung des Bundeskanzlers (siehe auch Kasten). Er nimmt im Alltag dennoch eher die Rolle als moralische Leitfigur und Repräsentant Österreichs im Ausland ein. Beide Kandidaten hatten im Wahlkampf allerdings betont, ihr Amt aktiver als bisherige Präsidenten ausüben zu wollen. Hofer warb sogar mit der Ankündigung um Stimmen, die Regierung zu entlassen, wenn er mit ihrer Arbeit unzufrieden wäre.
Der FPÖ-Mann gilt in Wien als ein „Anti-Schickeria“ und macht gern auf „Mann des Volkes“. So überrumpelte er zur ersten Runde der österreichischen Wahlen auch den 72-jährigen Wirtschaftsprofessor Van der Bellen, der lange Zeit als Favorit galt. Der ehemalige Grünen-Chef tritt stets ruhig, sachlich und pragmatisch auf. Der direkte Kontakt mit dem einfachen Bürger fällt ihm schwer. Er wirkt manchmal müde und etwas entnervt. Zur Bundespräsidentenwahl trat er als Unabhängiger an. Obwohl er finanziell und personell stark von den Grünen unterstützt wird, sei dies für ihn ein „symbolischer Unterschied“. Seine Gegner werfen ihm „Etikettenschwindel“ vor.
Schulterschluss gegen den FPÖ-Mann
Van der Bellen hoffte auf einen Schulterschluss von Anhängern aller Parteien, um einen FPÖ-Bundespräsidenten zu verhindern. Er bezeichnete sich selbst für Unentschlossene als das „kleinere Übel“. Es war ein regelrechter, bisher beispielloser Lager-Wahlkampf. Sein Programm gilt als Kontrapunkt zur FPÖ mit ausländerfeindlichen, EU-kritischen Tönen. „Widerstehen wir der Versuchung, die alten Zäune wieder hochzuziehen“, sagte er zur Flüchtlingspolitik. Doch gebe es keinen Platz für Wirtschaftsmigranten, fügte er mit Blick auf konservative Wähler hinzu.