Berlin. Will SPD-Chef Gabriel die Frage der Kanzlerkandidatur erst in letzter Minute klären? Das wäre ein verheerendes Signal. Eine Analyse.

Die SPD will ihren Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres womöglich erst nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2017 bestimmen. Das hat Parteichef Sigmar Gabriel laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ intern in der SPD-Spitze angekündigt.

Gabriel, so heißt es, sei überzeugt, ein Wahlkampf müsse „kurz und schmutzig“ sein. Andernfalls würde die Partei dem Wähler, der sich immer später entscheide, nur auf die Nerven gehen. Richtig daran ist: Gabriels SPD geht ihren Anhängern schon seit geraumer Zeit mächtig auf die Nerven.

Gabriel hat der SPD keine klare Richtung gegeben

Sigmar Gabriel, der nach dem Wahldebakel 2009 den Parteivorsitz übernahm, hat es seitdem nicht geschafft, der Partei eine klare Richtung zu geben. Stattdessen fährt die SPD einen Schlingerkurs: ein bisschen Kämpfer für die „kleinen Leute“, ein bisschen Anwalt der Mittelschicht; wirtschaftskritisch und -freundlich zugleich; unentschlossen in der Flüchtlingspolitik; mal so, mal so bei TTIP. Die Reihe ließe sich fortsetzen.

Beim Wahlvolk kommt das nicht gut an. Inzwischen blicken die Sozialdemokraten in Schockstarre auf die jeweils nächste Umfrage. Dort ist die Regierungspartei auf 20 Prozent abgerutscht und spürt beinahe schon den Atem der AfD im Nacken. Gabriel hat kein überzeugendes Konzept, wie er den Niedergang stoppen will. Und an der SPD-Basis wachsen Unruhe und Kritik am Vorsitzenden.

Es wäre die Aufgabe des Parteichefs, in politischen Kernpunkten eine klare Richtung vorzugeben. Das Problem: Sigmar Gabriel fehlt dazu die Kraft und der Rückhalt in der SPD. Er wirkt inzwischen wie ein Vorsitzender auf Abruf. Seit ihn der Bundesparteitag im letzten Dezember bei seiner Wiederwahl zum Parteichef mit nicht einmal 75 Prozent abstrafte, ist es kaum mehr vorstellbar, dass die SPD 2017 mit einem Kanzlerkandidaten Gabriel einen erfolgreichen Wahlkampf führt. Wie soll ein Kandidat Wähler gewinnen, wenn die eigene Partei nicht geschlossen hinter ihm steht?

Warten bis Mai 2017 wäre ein verheerendes Signal

„Natürlich will ich Bundeskanzler werden, wenn die SPD mich aufstellen will. Das ist doch gar keine Frage“, hatte Gabriel noch im Oktober 2015 erklärt. Und aus der Parteispitze verlautete erst kürzlich, trotz der teils schwachen Ergebnisse bei den Landtagswahlen im März habe der Vorsitzende den ersten Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Der Punkt ist: Im Grunde muss Gabriel antreten. Schon 2013 ließ er Peer Steinbrück den Vortritt, steckt er nun ein zweites Mal zurück, ist er als Vorsitzender nicht mehr glaubwürdig.

Sollte die SPD tatsächlich bis Mai 2017 mit der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten warten, wäre dies ein verheerendes Signal. Es wäre ein Zeichen von Unentschlossenheit und Selbstzweifel. Und es wäre das Eingeständnis eines großen Dilemmas: Zwar hat die „unschlagbare“ Über-Kanzlerin Angela Merkel den Zenit ihrer Macht überschritten, doch die SPD kann daraus mangels personeller Alternative kein Kapital schlagen.

Will Sigmar Gabriel antreten, muss er das nicht erst im Mai 2017 verkünden, sondern möglichst bald. Er hat nichts mehr zu verlieren.