Berlin. .

Es war ein großes Versprechen, das Walter Riester abgab: Die Rente bleibt nicht nur sicher, sondern auch bezahlbar für die jüngere Generation. Die vom damaligen SPD-Arbeitsminister vorgelegte Reform, mit privater Riester-Rente und Deckelung der Beitragssätze, wurde 2001 von der rot-grünen Bundesregierung als „historisch“ gefeiert. 15 Jahre später zeigen sich immer deutlicher die Risiken und Nebenwirkungen dieser Politik: Die gesetzliche Rente bleibt zwar sicher, aber sie schützt nicht mehr sicher vor Armut.

Eine am Dienstag vorgelegte Untersuchung des Westdeutschen Rundfunks (WDR) zeigt eine alarmierende Perspektive: Schon in anderthalb Jahrzehnten könnte fast jeder zweite Neurentner nur noch Altersbezüge auf Sozialhilfeniveau erhalten. Denn bis 2030 kann das Rentenniveau nach geltendem Recht auf 43 Prozent sinken. Um dann eine Rente über dem Sozialhilfesatz zu bekommen, müsste ein Arbeitnehmer nach heutigem Stand 40 Jahre lang ununterbrochen mindestens rund 2100 Euro monatlich verdienen, so die WDR-Untersuchung.

Die Zahlen heizen eine gerade beginnende Debatte über drohende Altersarmut an. Union und SPD haben sich in den vergangenen Wochen bereits dazu entschlossen, die Rente zum zentralen Thema des Bundestagswahlkampfes 2017 zu machen, jetzt nimmt das Projekt Fahrt auf.

SPD-Chef Sigmar Gabriel stellte im Gespräch mit dieser Zeitung eine umfassende Rentenreform in Aussicht. Auch aus der Union kommt massiv Druck, vor allem von CSU-Chef Horst Seehofer. Was die Union tun will, ist noch nicht klar. Seehofer verabredete mit CDU-Chefin Angela Merkel aber schon eine Kampagne im Wahlkampf – offenbar mit dem Schwerpunkt, die Altersvorsorge zu reformieren.

Die ungünstige Entwicklung der privaten Vorsorge ist Dreh- und Angelpunkt der neuen Rentendebatte. Denn die Reformer hatten Anfang des Jahrtausends ganz andere Erwartungen. Vorrangiges Ziel sollte es sein, die Beitragssätze der gesetzlichen Versicherung langfristig bei 22 Prozent zu deckeln – so sollte die Last der aktiven Generation begrenzt, aber auch ein Anstieg der Lohnnebenkosten gebremst werden. Dafür wird auf der anderen Seite eine Absenkung des Rentenniveaus in Kauf genommen. Es sollte von über 52 Prozent des Durchschnittseinkommens im Jahr 2001 auf bis zu 43 Prozent im Jahr 2030 sinken können. Derzeit liegt das Niveau zwischen 47 und 48 Prozent. Altersarmut, von der heute nur drei Prozent der Senioren betroffen sind, wird in ein paar Jahren zum Massenphänomen – wenn nicht in großem Umfang privat vorgesorgt wird. Die Lücke sollte mit der Riester-Rente geschlossen werden. Doch die freiwillige Privatvorsorge steht zunehmend in der Kritik, gerade für Geringverdiener ist sie kaum erschwinglich. CSU-Chef Seehofer sagt: „Die Riester-Rente ist gescheitert“.

Die Große Koalition belässt es bisher bei kleineren Korrekturen. Verabredet ist die Einführung einer solidarischen Lebensleistungsrente, die die Altersbezüge von langjährig Versicherten unter strengen Bedingungen über das Sozialhilfeniveau heben soll. Profitieren werden aber nur relativ wenige Rentner. Ministerin Nahles arbeitet auch an einer Reform der Betriebsrenten. Doch beides dürfte kaum genügen, um das Problem der Altersarmut zu bremsen. Stellschrauben wären etwa ein höheres Renteneintrittsalter oder eine neue private Vorsorge mit Einzahlungen in einen Staatsfonds. Die Alternative ist eine grundlegende Revision der früheren Reform, das Rentenniveau würde mindestens auf dem heutigen Niveau eingefroren. Das fordern etwa Gewerkschaften und Sozialverbände. Allerdings würde eine solche Korrektur jährlich mindestens 18 Milliarden Euro kosten, der Beitragssatz dürfte langfristig deutlich über 22 Prozent steigen.

Unterstützung für diesen Kurswechsel kommt nicht nur von der Opposition. Auch der Arbeitnehmerflügel der CDU hat Sympathien, die SPD-Linke drängt seit Langem auf eine Reformkorrektur. Und jetzt macht SPD-Chef Gabriel die Sicherung des Rentenniveaus zur Linie seiner Partei für die Bundestagswahl. Das sei, meint er, „unsere moralische Pflicht“.