Brüssel. Bei den Attentaten in Brüssel wurden am Dienstagmorgen mindestens 34 Menschen getötet. Es ist ein schwarzer Dienstag für Belgien und die EU.
Gegen 8 Uhr am Dienstagmorgen ist der Ernstfall plötzlich da: Zwei heftige Explosionen erschüttern kurz hintereinander das Hauptgebäude des Brüsseler Flughafens Zaventem. Mindestens 14 Menschen sterben, Dutzende werden verletzt. Das kleine Königreich Belgien zahlt einen schrecklichen Preis für seine Unfähigkeit, den Terror in seiner Mitte unter Kontrolle zu halten. „Ein schwarzer Tag“, sagt Premier Charles Michel.
Auf dem Handy eines Passagiers ist festgehalten, wie es in der Abflughalle des Terminal nach den Detonationen aussieht: leblose, zum Teil zerfetzte Körper auf dem Boden, Trümmer herabgestürzter Deckenplatten und Wand-Verkleidungen, eine apathische Mutter mit ihrem Kind im Arm, daneben Blutlachen, schreiende Menschen, die in Rauch und dichtem Staub den schnellsten Fluchtweg nach draußen suchen. Die Fassade des Flughafengebäudes ist zerstört.
IS-Flagge in Wohnung gefunden
Eine Überwachungskamera zeigt drei Männer, die nach erster Einschätzung der Polizei die Tat verübt haben könnten. Zwei haben sich vermutlich mit den Sprengsätzen in die Luft gejagt. Der dritte, ein Mann in heller Jacke, ist offenbar flüchtig. Nach Medienberichten werden später in seiner Wohnung im Stadtteil Schaerbeek eine Flagge der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) und Baumaterial für eine Nagelbombe gefunden
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Eine gute halbe Stunde später schlagen die Attentäter ein zweites Mal zu: Mitten im Europa-Viertel detoniert ein weiterer Sprengsatz. Tatort ist die U-Bahnstation Maelbeek, nur hundert Meter entfernt vom Berlaymont, Sitz der EU-Kommission. Ein Bauarbeiter mit Helm und gelber Weste hat die Explosion unmittelbar neben dem Eingang zum U-Bahnhof erlebt: "Es war eine gewaltige Detonation, die Scheiben flogen aus den Türen ...“ Verletzte? „Viele!“ Tote? „Mit Sicherheit." Er habe einen Körper gesehen, sagt der Mann auf Flämisch, der war "in twee" - in zwei Stücke gerissen.
Menschen fliehen in Panik
Rauch quillt aus den geborstenen Schwingtüren des Bahnhofs, Menschen fliehen in Panik, einige schleppen Verletzte nach draußen auf den Bürgersteig. Hier herrscht um diese Stunde Hochbetrieb, ein Gutteil des EU-Personals steigt auf dem Weg zum Büro in Maelbeek aus. Die Polizei ist in wenigen Minuten da, hat aber Mühe, im Gewühl aus rennenden Menschen, Autokolonnen, Schaulustigen und den ersten Kamerateams die Übersicht zu behalten. Widerwillig macht der Berufsverkehr eine Schneise für die Notarzt-Wagen frei.
Erst nach einer halben Stunde gelingt es der Polizei, den Tatort abzusperren, der Abtransport der Verletzten kommt in Gang. Mehrere müssen zunächst auf dem Trottoir versorgt werden. Eine verstörte Frau versucht vergeblich, durch die Absperrung vorzudringen. "Dahinten liegt meine Freundin! Sie ist verletzt und hat mich über Handy angerufen. Aber ich kann nicht hin, die lassen mich nicht durch!" Ein Polizist versucht, die aufgelöste Frau zu beruhigen.
Anschlag galt der EU
Ulrike aus Dresden, Angestellte bei der EU-Kommission, ist mit dem Schrecken davon gekommen. Sie saß im ersten U-Bahn-Wagen, als weiter hinten der Sprengsatz explodierte. „Ich wusste nicht, wie das ist, aber ich wusste sofort: Das ist eine Bombe!“ Sie sei durch die Rauchschwaden über einen Seiteneingang ins Freie gekommen, wo Verletzte auf dem Bürgersteig lagen.
Der Metro-Bahnhof liegt auf der unteren Ebene einer Überführung. Oben verläuft die Rue de la Loi, die sechsspurige Hauptachse von Osten in die Stadt. Dort stehen die großen Burgen der EU: Kommission, Ministerrat, der fast fertige Tempel des Europäischen Rates, wie die Gipfel-Versammlung der Staats- und Regierungschefs offiziell heißt, daneben das „Lex“-Gebäude der Dolmetscher und Übersetzer. Wenn Merkel und Co. tagen, wird die Station Maelbeek geschlossen - die Attentäter haben das Herz der EU getroffen. Die Staats- und Regierungschefs der EU wissen, dass der Anschlag auch ihnen gegolten hat, und bekräftigen in einer gemeinsamen Erklärung: „Die Europäischen Union und ihre Mitgliedsstaaten stehen solidarisch an der Seite Belgiens und des belgischen Volkes.“
Es ist ein Blutbad
Ein paar hundert Meter weiter Richtung Innenstadt hat Premierminister Michel seinen Amtssitz. Der Nationale Sicherheitsrat tagt, am Mittag und dann wieder am frühen Abend tritt Michel, begleitet von mehreren Ministern, vor die Presse: „Belgien ist von einem blindwütigen, gewalttätigen und feigen Anschlag getroffen worden“, sagt der Premier. Aber man werde sich nicht beugen. „Wir sind entschlossen, unsere Freiheit und unsere Art zu leben zu schützen.“ Auch König Philippe II. spricht den Landsleuten in einer kurzen Ansprache Mut zu: „Vertrauen ist unsere Stärke.“
Die vorläufige Bilanz am Abend ist entsetzlich: 34 Tote (20 in Maelbeek, 14 in Zaventem) und mehr als 200 Verletzte. Es ist ein Blutbad. Die Terror-Miliz Islamischer Staat bekennt sich zu den Attentaten.
Seit die Spur der Pariser Attentäter im November ins nördliche Nachbarland führte, hatte Belgien sich gegen das Risiko gewappnet, nächstes Ziel islamistischer Bombenleger zu werden. Brüssel, die Hauptstadt, verordnete sich für mehrere Tage die höchste Alarmstufe vier, das öffentliche Leben kam weitgehend zum Stillstand. Auch danach und bis heute sind Polizei und Militär allgegenwärtig. Doppelposten mit Kalaschnikow vor Behörden, EU-Gebäuden und Versammlungsorten gehören seither zum Stadtbild. Ungemütlich, aber wirksam, so schien es, obwohl es ein Vierteljahr dauerte, bis Salah Abdeslam, der flüchtige Hauptverdächtige der Pariser Attentate, in seinem Heimatviertel Molenbeek gefasst werden konnte. Zaventem, hieß es, sei vermutlich derzeit der sicherste Flughafen Europas. Der schwarze Dienstag zertrümmert diese Illusion.
„Brüssel wird diesmal nicht geschlossen“
Unmittelbar nach den Attentaten wird der Alarmzustand wieder auf Stufe vier heraufgesetzt, diesmal für das gesamte Land. Der Flugverkehr wird umgeleitet nach Antwerpen, Lüttich und Charleroi. 180 Flüge von Brussels Airlines werden gestrichen. Zaventem stellt bis mindestens Mittwochabend den Betrieb ein. Busse und Bahnen in der Hauptstadt bleiben in den Depots. Längere Straßentunnel sind geschlossen. An den Atomkraftwerken Doel bei Antwerpen und Tihange unfern von Lüttich werden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Die Universitäten schließen den Campus, und auch die Schulen in der weiteren Umgebung der beiden Tatorte schicken vorsichtshalber die Schüler am Mittag nach Hause.
Aber eine längere Periode des Stillstands wie während der Stufe-vier-Tage im November solle es diesmal nicht geben: „Brüssel wird diesmal nicht geschlossen“, erklärt Rudi Vervoort, Ministerpräsident der Hauptstadtregion Brüssel. Und am Abend bekräftigt Premierminister Michel: „Wir wollen möglichst schnell zu einem normalen Leben zurückkehren!“