Berlin. Nach dem Erfolg der AfD streiten Politiker über den Umgang mit der Partei. Kanzlerin Merkel fordert: „Argumentativ auseinandersetzen“.
Tag eins nach den Wahlerfolgen der Alternative für Deutschland (AfD) in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die etablierten Parteien reagieren besorgt auf die neue Konkurrenz und schließen eine Zusammenarbeit aus. Auch aus Wirtschaft und Gesellschaft kommende warnende Töne. Die AfD selbst trumpft auf – will aber zunächst in der Opposition bleiben.
Die Wahlergebnisse zeigten, dass die Bürger „mit den Antworten der etablierten Parteien – allen voran der ehemals großen Volksparteien – komplett unzufrieden sind“, sagte die AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry am Montag im Deutschlandfunk. Die AfD wolle in den Landtagen nun als Oppositionspartei arbeiten. Für eine Regierungsbeteiligung sei es zu früh.
Der Co-Vorsitzende Jörg Meuthen sieht die AfD als feste politische Kraft und breit verankert in der Gesellschaft: „Unsere Wähler bilden einen ganz guten Querschnitt der Bevölkerung ab“, sagte Meuthen am Montag. „Wir haben Stimmen aus allen politischen Lagern.“ Die Parteien müssten sich nun daran gewöhnen, „dass sich eine neue konservative, freiheitliche, bürgerliche und weltoffen-patriotische Kraft in Deutschland etabliert“. Meuthen, der AfD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg ist, wies Kritik zurück, seine Partei gehöre in eine rechtsextremistische Ecke.
Stimmen zum Ausgang der Landtagswahlen
Parteien distanzieren sich von AfD
Vertreter aller etablierten Parteien zeigten sich derweil besorgt über den Aufstieg der Rechtsaußen-Partei. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte am Montagmittag, man müsse sich mit ihr argumentativ auseinandersetzen. Bei den Stimmen für die AfD habe es sich um Protest gehandelt „im Blick auf die ungelöste Frage der vielen Flüchtlinge, auch Ängsten in Bezug auf die Integration“. Es sei zudem um die Sorge vor dem Islam und die Frage der Inneren Sicherheit gegangen. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff stimmte zu, betonte aber auch: „ Rechts von der CDU/CSU darf es keine Alternative geben.“
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht die Wahlerfolge der AfD als Bewährungsprobe für die Demokratie: „Das Abschneiden der AfD ist mehr als ein Denkzettel“, sagte er. Maas betonte, alle Parteien müssten nun klare Kante gegen die Protestierer und Vereinfacher zeigen: „Dumpfe Parolen müssen wir durch sachliche Argumente entlarven.“ Wer die Flüchtlingskrise allein für eine Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung missbrauche, müsse mit entschlossenen Reaktionen rechnen. „Der Kampf gegen fremdenfeindliche Hetze bleibt die große Gemeinschaftsaufgabe für Politik und Zivilgesellschaft. Die schweigende Mehrheit darf nicht länger schweigen“, sagte der SPD-Politiker.
CSU-Chef Horst Seehofer sieht die Flüchtlingskrise als Grund für den Absturz der CDU vor allem in Baden-Württemberg. „Es hat überhaupt keinen Sinn, da vorbeizureden“, sagt er in München. Es gebe eine „tektonische Verschiebung der politischen Landschaft“ in Deutschland.
Laschet: „AfD wird sich entzaubern“
Die CDU schließt auch nach den Landtagswahl-Erfolgen der AfD jegliche Kooperation mit der rechtspopulistischen Partei aus. „Wenn man sich die Inhalte anschaut, kann es keine Zusammenarbeit zwischen Union und AfD geben“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber am Montagmorgen im ZDF. Die AfD nehme in Kauf, dass viele ihrer Funktionäre „ganz am rechten Rand“ zu Hause seien und eine entsprechende Sprache pflegten. „Das C in unserem Namen setzt eine klare Grenze nach rechts“, betonte Tauber. Vorstand und Präsidium hätten sich dazu klar positioniert.
CDU-Vize Armin Laschet sieht die Bundesregierung in ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik indes durch die Landtagswahlen bestärkt. Man brauche eine europäische Lösung, alle nationalen Lösungen seien falsch. „In der Tat haben die, die das auch in der Öffentlichkeit gesagt haben, bei den Wahlen gut abgeschnitten. Das heißt für uns, es darf keine Kursänderung geben“, sagte er im Phoenix-Interview. Mit Blick auf die Alternative für Deutschland (AfD) und weitere Landtagswahlen im September betonte er: „Die AfD wird sich entzaubern, wenn sie in Parlamenten sitzt. Nur ein Denkzettel zu einer Flüchtlingspolitik ist ja noch keine Politik. Die AfD wird sich in den Landtagen jetzt auch ein Stück entlarven.“
Gabriel: „Kampf um politisches Zentrum aufnehmen“
Mit Blick auf die AfD äußerte sich auch SPD-Chef Sigmar Gabriel besorgt. Die demokratische Mitte sei schwächer geworden. Die SPD werde „den Kampf um das politische Zentrum in Deutschland in voller Entschlossenheit aufnehmen“, schrieb er auf Twitter. Gleichzeitig gratulierte er seiner Parteifreundin Malu Dreyer.
„Wir werden den Populisten nicht hinterherlaufen“, sagte Gabriel am Montag in Berlin. Die SPD werde deutlich machen, dass ihre Kernthemen eine liberale Gesellschaft und sozialer Zusammenhalt seien. „Wir werden alles dafür tun, dass wir das demokratische Zentrum in Deutschland stabil halten.“ SPD-Generalsekretärin Katarina Barley will die zur AfD gewanderten Wähler durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Partei zurückgewinnen: „Wir müssen die AfD entlarven als das, was sie ist.“
Ministerpräsident Haseloff: „Nicht so weitermachen“
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) hat Konsequenzen aus den Erfolgen der AfD gefordert. „Rechts von der CDU/CSU darf es keine demokratische Alternative geben“, sagte er vor Sitzungen der CDU-Spitzengremien am Montag in Berlin. Nach den drei Landtagswahlen von Sonntag „können wir nicht so weitermachen“. Die Wähler müssten so schnell wie möglich zurückgeholt werden.
Jubel und Trauer am Wahlsonntag
Die FDP dringt nach den Wahlen auf eine Wende in der Flüchtlingspolitik: „Die Tatsache, dass die AfD in allen Ländern so dramatisch gut abgeschnitten hat, ist ja ein Beleg dafür, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass die Aussage der Kanzlerin „Wir schaffen das“ nicht unterlegt ist mit einer weiteren Erklärung, was das denn bedeuten soll“, sagt FDP-Vize Wolfgang Kubicki. „Wenn die Kanzlerin den gestrigen Abend richtig verstanden hat, dann wird sie ihre Politik auch korrigieren.“
Industrie: „AfD schreckt Investoren ab“
Linken-Chefin Katja Kipping fordert ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen den Rechtsruck. Die AfD wolle etwa in Sachsen eine Umgewichtung des Geschichtsunterrichts mit Schwerpunkt auf das 19. Jahrhundert, sagt Kipping im ZDF. Das heiße, die AfD wolle weniger Informationen über den Holocaust und über die Verbrechen des NS-Regimes.
Die deutsche Industrie sorgt sich angesichts der Wahlerfolge um den Wirtschaftsstandort Deutschland. „Es ist überhaupt nicht auszuschließen, dass der teilweise hohe Zuspruch für rückwärtsgewandte Parteien wie AfD oder Linke Investoren abschreckt“, warnte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ulrich Grillo, am Montag in Berlin. „Da muss man sich in Sachsen-Anhalt schon Sorgen machen.“
Kirchen und Zentralrat der Juden zeigen sich bestürzt
Die Kirchen und der Zentralrat der Juden in Deutschland reagieren bestürzt auf das starke Abschneiden der AfD. „Dass eine durch und durch rechtspopulistische Partei, die mitunter rechtsextreme Positionen duldet, derart viele Stimmen erhält, zeugt von einem erschreckenden Rechtsruck der Gesellschaft“, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster am Montag. Die verbreiteten Ressentiments gegen Flüchtlinge und die Ängste vor etwas Fremden hätten der AfD zu unverdient hohen Wahlergebnissen verholfen. Es sei jetzt auch Aufgabe der demokratischen Parteien, auf die Ängste in Teilen der Bevölkerung zu reagieren und einer weiteren Spaltung der Gesellschaft entgegenzuwirken.
Gleichzeitig zeigte sich Schuster überzeugt, dass sich in der parlamentarischen Arbeit das Unvermögen der AfD zeigen werde, „tatsächlich Lösungen für politische Probleme zu finden“. Der Präsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, Joachim Liebig, sagte, er sei erschrocken über die große Zahl von Menschen im Land, die offenbar den Eindruck haben, dass sie nicht gehört und verstanden werden. Der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige betonte, die anstehenden Probleme ließen sich nur mit Herz und Verstand, nicht aber mit Wut und Hass lösen. (rtr/dpa/epd/les)