Bautzen. Nach dem Anschlag auf ein geplantes Flüchtlingsheim in Bautzen suchen die Bürger nach Orientierung – und die Politik nach Antworten.
Auch am zweiten Tag nach dem Brand in Bautzen liegt der Geruch von Feuer noch in der Luft. Da, wo in wenigen Tagen 300 Flüchtlinge in ein Hotel einziehen sollten, hat der Sturm die Transparente zerrissen, wütende und nachdenkliche Zeilen: „Seid ihr nun zufrieden?“ und: „Wenn Häuser brennen, darf man nicht klatschen.“
Genau das hat eine Menschenmenge getan, in der Nacht zu Sonntag, als gegen halb vier am Morgen der Dachstuhl des Hotels Husarenhof in Flammen stand. Die Menschenmenge hatte gejohlt, einige Männer hatten die Feuerwehr massiv an der Arbeit gehindert, so die Polizei. Nur zwei Tage, nachdem im sächsischen Dorf Clausnitz eine grölende Menschenmenge Flüchtlinge daran gehindert hatte, eine Unterkunft zu beziehen, tobte der nächste fremdenfeindliche Mob in Sachsen.
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Zwar sind die Täter noch nicht gefasst, doch spätestens, seit die Polizei bekannt gab, dass der Brand vorsätzlich an mehreren Stellen gleichzeitig gelegt wurde, ist für die meisten klar: Dieser Brand sollte nicht nur das Gebäude treffen. Sondern symbolisch jene, die einziehen sollten – Flüchtlinge und alle, die dafür verantwortlich sind. „Für mich ist das organisierte Kriminalität“, sagt Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens. „Die kannten offenbar sogar die Runden des Wachdienstes“.
Feuer in Flüchtlingsheim in Bautzen
Das abgebrannte Heim ist ein Symbol der Schande
Ahrens ist am Montagmorgen an der Hotelruine vorgefahren, im dunklen Anzug steht er an der Absperrung vor dem Dachstuhl, der als verkohltes Gerippe in den Himmel ragt. Einen Moment steht Ahrens still, dann wendet sich ein Mann an ihn. Ob die Arztpraxis wieder öffnet, die ihre Räume in dem Hotelbau hatte? „Nein“, antworten zwei weitere Passanten und stellen sich vor: „Wir sind die Ärzte. Die Praxis ist geschlossen. Da ist wohl nicht mehr viel zu retten.“ Der Husarenhof, deutschlandweit Symbol der Schande, war in Bautzen auch das: ein kleines Stadtteilzentrum. Mit Ärzten, Kosmetik, Kneipe und Restaurant.
Die Ärzte haben wenig geschlafen, so wie eigentlich alle hier an diesem Morgen. Die Polizisten, die rund um die Uhr Wache schieben, weil auch nachts ununterbrochen Schaulustige kamen. Der Bürgermeister, der erst am Sonntagnachmittag aus dem Urlaub kam und direkt an den Brandort eilte. Der ehemalige Hotelbetreiber Michael Pfützner, den die Feuerwehr direkt nach dem Alarm aus dem Schlaf riss, weil er noch die Hotelschlüssel hatte. Pfützner gehörte zu jenen, die vor dem Brand gegen die Umwidmung des Hotels zum Flüchtlingsheim protestierten. Das ganze Haus, gerade erst saniert, sollte komplett geräumt werden.
Jetzt ist es Pfützner wichtig zu sagen, dass sich der Protest nicht gegen die Flüchtlinge richtete, „sondern gegen die Art, wie wir vor die Tür gesetzt wurden.“ Am 23. Dezember kam plötzlich das Aus zum Jahresende. „Weder mit uns noch mit den Anwohnern wurde geredet.“ Pfützner ist wütend, zu Recht, wie der Oberbürgermeister findet, dem das Verfahren missfiel, auch wenn es juristisch korrekt war. „Aber für die Belegung der Flüchtlingsheime ist der Landkreis verantwortlich“, sagt Ahrens. „Da herrscht Druck, passende Gebäude zu finden und der Besitzer hat dann eben verlangt, dass der Landkreis die Immobilie komplett anmietet. Da geht es eben auch um Profitmaximierung.“
Straßenschilder in Bautzen sind zweisprachig
Aber dass deswegen jemand das ganze Gebäude anzündet? Ahrens schüttelt den Kopf. Es ist bereits das vierte Heim der Stadt. Solche Gewalt aber, sagt er, gab es in Bautzen bisher nicht. Im Gegenteil. Bautzen wurde 2014 kurz berühmt als die Stadt, in der ein Viersternehotel zum Heim wurde. Nachdem die Anwohnerproteste eskalierten, hieß das Projekt: „Hotel zur großen Angst“. Die Diskussion habe hysterische Züge getragen, räumt Ahrens ein. Heute aber gilt das Objekt als Vorzeigeheim.
Bautzen wirkt überhaupt auf den ersten Blick wie ein Beispiel der Integration. Alle Straßenschilder sind zweisprachig, weil die Region Oberlausitz Zentrum der Sorben ist. Die slawische Minderheit hatte auch schon zu DDR-Zeiten Minderheitenstatus. Nach der Wende jedoch war die Stadt wegen ihrer Gefängnisse verschrien als Stasi-Stadt, die Arbeitslosigkeit stieg, viele junge Menschen zogen weg.
In Bautzen sieht man jetzt Hakenkreuz-Kritzeleien auf sorbischen Schildern, 2015 flogen schon einmal Steine gegen ein Flüchtlingsheim. Anfang Januar protestierten rechtsgerichtete Demonstranten gegen das geplante Heim im Husarenhof.
Brand als erste Bewährungsprobe des Oberbürgermeisters
Ahrens kann all diese Faktoren aufzählen, die zu Hoffnungslosigkeit und wohl auch zu Gewalt führen können. Auch wenn der 50-Jährige erst seit August 2015 Oberbürgermeister ist. Seit acht Jahren lebt er in Bautzen. Er ist Jurist, stammt aus dem Westen Berlins. „Hohlköpfe“ hat er jene genannt, die rassistisch und rechtsradikal argumentieren. Mit ihnen spreche er nicht, sagt er. Mit allen anderen aber schon, „auch mit Asylkritikern. Denn nicht alle, die die gegenwärtige Flüchtlingspolitik kritisch sehen, sind eine braune Horde.“
Ahrens’ Wahl und auch seine Person gelten in Bautzen als Neuanfang. Parteilos, unterstützt von einem Mitte-Links-Bündnis, löste Ahrens 2015 die CDU nach 25 Jahren an der Spitze ab. Der Brand ist nun seine erste Bewährungsprobe, politisch wie menschlich. Am Sonntagnachmittag stand er vor den 300 Demonstranten, die gekommen waren, um gegen das zu demonstrieren, was alle hinter dem Brand vermuten, auch wenn die Polizei offiziell noch ermittelt: Fremdenhass. „Ich brauche Sie jetzt, in den nächsten Wochen und Monaten“, sagte er den Demonstranten. „Ich brauche Sie als Multiplikatoren.“
Ahrens weiß: Alle sind es nicht, die er erreicht. Selbst wenn er Asylkritikern sagt, dass er Angela Merkels Flüchtlingspolitik für einen Fehler halte, „auch wenn ich ihre Offenherzigkeit moralisch begrüße“. Oder wenn er den Menschen vorrechnet, dass in Bautzen mit seinen 40.000 Einwohnern nur 650 Flüchtlinge leben. Im Landkreis Bautzen seien das weniger als ein Prozent.
Beim Bier finden drei Bautzener den Brand nicht schlimm
Zu denen die Ahrens nicht erreicht, gehören die drei, die in der Kneipe direkt am Rathaus sitzen. Bei Cola und Bier sagen sie freimütig, dass sie den Brand des Hotels nicht besonders beängstigend finden. „Sondern dass man nicht sagen darf, was man denkt.“
Ihr Ton ist der trotzige Ton der Pegida-Demonstranten, der „Wir-sind-das-Volk“-Rufer aus Clausnitz. Sie misstrauen der Politik und allem Fremden grundlegend. Sie selbst hätten in Bautzen nie Ärger mit Flüchtlingen gehabt. Sie sind auch nie einem so richtig begegnet. Trotzdem sagt einer der drei: Dass es wichtig sei, mit Pegida zu demonstrieren. „Ich finde es mutig“, sagt er, „die Demonstranten sind ja nicht alles Rechtsextreme, sondern einfach Leute, die Angst haben.“
Angst ist das Wort, das viele an diesem Montag in Bautzen verwenden. Im Bündnis „Bautzen bleibt bunt“ engagieren sich Bürger für Flüchtlinge, sie machen Willkommensfeste und sammeln Spenden. „Man hat ja immer gehofft, dass so etwas wie dieser Brandanschlag bei uns nicht passiert“, sagt Manja Gruhn, sie ist Sozialarbeiterin und im Bündnis engagiert. Auch sie sagt: rechtsgerichtete Ansichten habe es in Bautzen und Sachsen immer gegeben. „Aber seit Beginn des Flüchtlingsstroms zeigt sich das offener.“
Am Montagabend wollten die bunten Bautzener im soziokulturellen Zentrum „Steinhaus“ in der Stadtmitte eine Pressekonferenz abhalten. Doch bis dahin werden sie noch andere Besucher gehabt haben – Jugendliche kommen zum Tischtennisspielen, Musikmachen, Reden. Es sind junge Bautzener und auch Flüchtlinge. Unter den Jugendlichen, sagt die Sozialarbeiterin, gebe es längst Freundschaften quer durch alle Nationalitäten.