Berlin. Reformen zum Öko-Energie-Gesetz hängen im Kanzleramt fest. Unionspolitiker revoltieren gegen die Pläne von Wirtschaftsminister Gabriel.
In der Regierungskoalition ist ein heftiger Streit um die Zukunft der Energiewende ausgebrochen. Seit Wochen schon hängt die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), im Kanzleramt fest, weil über zusätzliche Einschnitte diskutiert wird. Das Gesetz regelt die Förderung von Wind- und Solarstrom.
Nun greifen einflussreiche Abgeordnete der Union die Pläne von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) frontal an. In einem Brief an Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), der unserer Redaktion vorliegt, warnen sie vor „dramatischen Fehlsteuerungen“, zu denen die EEG-Reform führen könnte.
Kritiker: Es drohen neue Kosten in Milliardenhöhe
Statt maximal 45 Prozent Grünstrom-Anteil an der deutschen Stromproduktion im Jahr 2025, wie in der Koalition bislang vereinbart, seien durch das neue Gesetz 55 Prozent bis 2025 möglich, so die vier Abgeordneten, darunter die beiden stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Michael Fuchs (CDU) und Georg Nüßlein (CSU). Es drohten Milliarden an Zusatzkosten sowohl bei der EEG-Umlage, die von den Verbrauchern bezahlt werden muss, als auch beim Management der Stromnetze. „Der Netzausbau hält schon mit dem jetzigen Ausbau nicht Schritt.“
Die Stromnetzebetreiber, heißt es weiter in dem Brief, „sagen uns vertraulich, dass weder Suedlink noch die Südostpassage vor 2025 fertiggestellt sein werden“. Dabei handelt es sich um zwei neue Leitungstrassen, die Strom aus dem windreichen Norddeutschland in den Süden transportieren sollen, wo Kraftwerksleistung eher knapp ist.
Ausbau der Windanlagen auf See geht voran
Grund für den überschnellen Ausbau könnten demnach mögliche Fehlannahmen in der Formel sein, die im Gesetzentwurf regeln soll, wie viele neue Grünstrom-Anlagen pro Jahr gefördert werden. Auf Nachfrage teilte das Büro von Michael Fuchs mit, dass die höhere Ausbeute von Windkraftanlagen nicht ausreichend berücksichtigt werde. Zudem gehe der Ausbau der Windkraft auf See schneller voran als in der Formel berücksichtigt und auch die Strommengen aus Biomasse-Kraftwerken würden wohl unterschätzt.
Eine Sprecherin von Sigmar Gabriel sagte dazu, das Ministerium ziele nach wie vor auf die Einhaltung des Korridors von 40 bis 45 Prozent Grünstrom im Jahr 2025. Ein 55-Prozent-Szenario sei bislang nicht bekannt und könne deshalb auch nicht im Detail kommentiert werden.
Unserer Redaktion liegt der Gesetzentwurf des Ministeriums vor. In der umstrittenen Formel wird auf 45 Prozent Grünstrom im Jahr 2025 abgezielt. Die Formel erstreckt sich über vier Seiten und basiert auf Dutzenden Variablen. Sie mündet in eine Zahl, die festlegt, wie viele Windenergie-Anlagen an Land vom Staat ausgeschrieben und dann von Investoren neu gebaut werden dürfen.
Unionspolitiker wollen „auf Sicht fahren“
Die Unions-Vertreter schreiben, sie lehnten es „strikt ab, jetzt wissenschaftlich anmutende Berechnungsformeln festzulegen. Wir schlagen stattdessen vor, auf Sicht zu fahren.“ Demnach sollten die Ausschreibungen jetzt nur für die Jahre 2019 und 2020 festgelegt werden und sich streng an den Korridor halten, der zu den Zielen im Jahr 2020 führt.
Das hieße allerdings, dass die Energiewende stark abgebremst würde und der Neubau von Anlagen deutlich hinter den Schnitt vergangener Jahre zurückfiele. Schon 2015 wurden 30 Prozent des deutschen Stromverbrauchs in Erneuerbare-Energien-Anlagen erzeugt.
Neben dem koalitionsinternen Krach droht auch ein scharfer Konflikt mit den Ländern, die sich großenteils für einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien einsetzen. Kommende Woche findet dazu ein Treffen der Länderminister statt. Schleswig-Holsteins grüner Energieminister Robert Habeck sagte unserer Redaktion, die Begrenzung des Ausbaus müsse ganz weg oder zumindest auf 50 Prozent Grünstromanteil angehoben werden. Die Windkraft an Land abzubremsen sei „entgegen den EEG-Vereinbarungen von 2014 und entgegen der wirtschaftlichen Vernunft. Denn Windräder an Land liefern die kostengünstigste Energie. Absurder geht es nicht.“
Grünen sind verärgert über Vorstoß aus der Union
Auch die Grünen im Bundestag sind verärgert üben den Unionsvorstoß. Julia Verlinden, die Energieexpertin der Fraktion, sagte, der Vorschlag komme einem faktischen Ausbaustopp bis 2020 gleich und sei besonders nach dem erfolgreichen Pariser Klimagipfel ein „absurder Generalangriff auf die mittelständisch geprägte Erneuerbaren-Branche mit ihren 350.000 Arbeitsplätzen“. Mit dem Netzausbau zu argumentieren sei fadenscheinig, denn dieser komme durchaus voran.
Spielball der Energiepolitik ist vor allem die Zukunft der Windkraft-Branche, denn laut dem Gesetzentwurf wird vor allein ihr Ausbautempo herauf- und heruntergefahren, um im Korridor zu bleiben. Und die Unionsabgeordneten fordern sogar eine „scharfe“, einmalige Absenkung der Vergütung für Windstrom, was zu weniger neuen Anlagen führen würde.
Der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers, sagte, die Unionsabgeordneten hätten ein „aus der Luft gegriffenes Horrorszenario“ entworfen. Schon die im Gesetzentwurf enthaltenen Zielgrößen seien ein Bruch ursprünglicher Absprachen gewesen. „Wir hoffen vor allem darauf, dass die Bundesländer das nicht hinnehmen werden“, so Albers.