Düsseldorf. . Hannelore Kraft hatte zu den Kölner Übergriffen lange geschwiegen. Jetzt will sie mit einem 15-Punkte-Plan Tatkraft demonstrieren.
Um kurz vor zehn am Donnerstagmorgen sitzt Hannelore Kraft (SPD) bereits im grünen Kostüm allein auf der Regierungsbank und geht noch einmal ihr Manuskript durch. Die von der Opposition erzwungene Sondersitzung des Landtags zu den Kölner Silvesterexzessen ist für die Ministerpräsidentin kein beliebiger Plenartag. Sie muss in einer einzigen Rede reparieren, was in den vergangenen 14 Tagen kaputt gegangen ist.
Und das ist einiges. Die massenhaften sexuellen Übergriffe neben dem Kölner Dom und die erschreckende Hilflosigkeit der Polizei gegenüber einem Mob mit Migrationshintergrund erschüttern das Vertrauen in die innere Sicherheit in NRW. Krafts Image als kümmernde Landesmutter ist zudem ramponiert. Sie weilte zunächst im Winterurlaub, drückte erst am 5. Januar mit einem kurzen Statement im „Kölner Stadtanzeiger“ ihre Betroffenheit aus und tauchte ansonsten in der wichtigsten Sicherheitsdebatte seit Jahren weitgehend ab. Nun soll die Kurskorrektur her. Kraft versucht zunächst die mitfühlende Tonlage wiederzufinden, die sie nach Katastrophen wie der Loveparade 2010 einmal populär gemacht hatte: „Es tut mir weh. Ich sage deutlich: Es lag in unserer Verantwortung und es tut mir persönlich und uns allen leid, unendlich leid, dass dies geschehen konnte“, sagt sie.
Zudem präsentiert die Regierungschefin einen 15-Punkte-Plan zur Wende in der Inneren Sicherheit. Darin enthalten ist eine Belohnung für Hinweise auf die Täter der Silvesternacht von 10 000 Euro sowie eine zentrale Anlaufstelle für Opfergespräche oder 500 Polizisten zusätzlich in Ballungsräumen. Sogar den lange bekämpften CDU-Vorschlag von Verwaltungsassistenten, die Polizeibeamte von bürokratischen Aufgaben entlasten, macht sich Kraft zu eigen. Selbst die Ausweitung der lange kritisierten Videobeobachtung an Kriminalitätsbrennpunkten soll rot-grünes Regierungsprogramm werden.
An der Begradigung des verheerenden Eindrucks der vergangenen Tage versucht sich auch der angeschlagene Innenminister Ralf Jäger (SPD). Hatte er noch zu Wochenbeginn im Innenausschuss des Landtags alle Schuld am Einsatzdebakel allein der Kölner Polizei zugeschoben und jede Verantwortung von sich gewiesen, bemüht er sich erkennbar um eine andere Tonlage.
Jäger war früh informiert
„Ich möchte mich für die Fehler, die die Polizei am Silvesterabend gemacht hat, bei den Opfern entschuldigen“, sagt Jäger. Er sei ja auch Vater einer 23-jährigen Tochter und Ehemann.
Von Rücktrittsgedanken jedoch weiter keine Spur. Er verstehe es als seine Aufgabe, „Fehler anzusprechen und sie ehrlich zu bewerten“, so Jäger. Die SPD-Fraktion stärkt dem Minister mit lebhaftem Beifall den Rücken. Allerdings muss Jäger auf Druck der Opposition immer wieder ans Rednerpult zurückkehren und irgendwann einräumen, dass er bereits am Neujahrstag über die sexuellen Übergriffe im Bilde war. Am 1. Januar ging um 14.36 Uhr eine Polizeimeldung über ein wichtiges Ereignis (WE-Meldung) bei ihm persönlich ein, in der zunächst von elf Übergriffen die Rede war. Um 21.40 Uhr folgte die zweite WE-Meldung, dass es sich um eine größere Dimension handelte und die Kölner Polizei eine Ermittlungsgruppe bilden musste. Das Innenministerium erklärte, daraus habe der Minister die Dimension der Vorfälle nicht erkennen können. Warum das Land trotzdem tagelang nicht aktiv wurde, soll wohl ein Untersuchungsausschuss des Landtags klären.
CDU, FDP und Piraten fordern einhellig Jägers Entlassung. Wenn Kraft es ernst meine mit der „Kursänderung“ in der Innenpolitik, sei das nur mit einem neuen Innenminister möglich, ruft CDU-Landeschef Armin Laschet. FDP-Chef Christian Lindner appelliert an Jäger: „Wenn Sie Charakter haben, dann stellen Sie sich jetzt Ihrer Verantwortung.“