Mainz. Die sexuellen Angriffe der Silvesternacht verändern die Stimmung. Im CDU-Vorstand ist in Mainz die Rede davon, sie sei „unterirdisch“.
Die Stimmung ist ernst. Warum sollte es an diesem Abend im CDU-Vorstand in Mainz auch anders als an der Basis sein? „Unterirdisch“, erklärt Mittelstandspolitiker Carsten Linnemann. „Köln hat alles verändert“, interpretiert Hessens Regierungschef Volker Bouffier. „Das ist ein Drama“, sagt der EU-Parlamentarier Peter Liese.
Dass die Debatte sich dreht – „nach Köln“ – spürt auch Innenminister Thomas de Maizière. Er beschrieb die Gefühlslage vieler Bürger nach Angaben von Teilnehmern der Führungsklausur in einem Mainzer Hotel so: Die Polizei verfolge zwar mit Akribie jeden Parksünder, doch wenn sich in den Städten kriminelle Clans bildeten, schaue sie weg. So denkt nicht de Maizière. Er gibt nur eine Stimmung wieder. Viele nicken auf der CDU-Klausur, die am Sonnabend zu Ende ging. Sie spüren die Erosion des Vertrauens – auch Merkel. Die Kanzlerin spricht von einem „Paukenschlag“.
Merkel fordert harte Konsequenzen
In der Silvesternacht hatten offenbar vor allem Zuwanderer, auch Flüchtlinge, Frauen in Köln beklaut und sexuell belästigt. Die Übergriffe sind aus zwei Gründen auch politisch „außerordentlich sensibel“ (Merkel). Die Angriffe sollen zum einen Konsequenzen haben, „wir müssen das mit aller Härte durchsetzen“. Ihre Sorge ist, dass die Täter ungestraft davonkommen könnten. „Das werden die Leute nicht verstehen, wir müssen auf dieses Thema Antworten haben“. Genauso schwierig ist nach Merkels Einschätzung der Eindruck, dass etwas verschwiegen werden sollte, „das hat die Menschen verunsichert“. Sie mahnt, „alles muss auf den Tisch“. Aufklärung ist wichtig.
Die Partei beschloss eine Reihe von Maßnahmen, über die de Maizière nächste Woche mit Justizminister Heiko Maas von der SPD verhandeln will. Ein Kernpunkt ist die Ausweisung von Asylbewerbern, die sich nicht an die Gesetze halten. Bisher geht das nur bei Strafen von mehr als zwei oder drei Jahren. Wenn sich zeige, dass es bei Vorfällen wie in Köln nicht zu Urteilen in diese Höhe komme, müsse man sich fragen: „Verwirkt man sein Gastrecht nicht früher?“, hatte die Kanzlerin am Freitagabend auf einem Empfang der Mainzer CDU gefragt. Es war selbstredend eine rhetorische Frage. Die Antwort lieferte sie gleich nach: „Ich muss einfach sagen: Ja, man verwirkt sein Gastrecht.“ 1000 Anhänger jubelten. Die Kanzlerin will die Schwelle senken, Gesetze so ändern, dass auch bei Bewährungsstrafen abgeschoben wird.
Schleierfahndung soll schnell kommen
Am 13. März wird in Rheinland-Pfalz wie in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt gewählt. Auch der Termin erklärt die neue Härte, sie kommt gut an. Am Sonnabend verabschiedete die CDU eine „Mainzer Erklärung“, in der die Partei noch weitere Maßnahmen anmahnt, um das Sicherheitsgefühl der Bürger zu erhöhen, so etwa mit mehr Polizeipräsenz und Videoüberwachung, außerdem mit verdachtsunabhängigen Personenkontrollen.
Die CDU ist auch zuversichtlich, diese Forderungen „zeitnah“ umsetzen zu können – ihr Koalitionspartner, die SPD, signalisierte Zustimmung. Die CDU wird zugleich darauf drängen, das sogenannte Asylpaket II, das auf Eis liegt, bald umzusetzen, um insbesondere den Familiennachzug zu erschweren. Darüber hinaus treibt de Maizière in seinem Haus Planungen voran, auch Marokko und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, um Flüchtlinge aus diesen Staaten – ihre Zahl steigt an – schneller ablehnen und abschieben zu können.
1000 Abschiebungen täglich
Für die Abschiebungen sind die Länder zuständig. Was auf sie zukommt, lässt sich leicht ausrechnen. Im Dezember hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mehr als 2000 Fälle am Tag entschieden. 2015 wurden 50 Prozent von ihnen abgelehnt. Auf der Basis solcher Werte müssten die Länder demnächst täglich 1000 Abschiebungen organisieren. Im gesamten Jahr 2015 gab es knapp 20.000 Rückführungen, und weitere 30.000 Asylbewerber verließen Deutschland sogar freiwillig.
Am Kern der Flüchtlingspolitik will Merkel nichts ändern. Sie setzt unverdrossen auf eine europäische Lösung. Einfach wird das nicht, wie Europaexperte Liese weiß. „Ihr habt sie eingeladen“, sagen ihm seine Kollegen in Straßburg. Eine Willkommenskultur, wie sie im Juli und August in Deutschland geherrscht habe, „kann man nicht von anderen Europäern erwarten“.
Der Innenminister rechnet mit einer Million Flüchtlinge und geht davon aus, dass die Türkei davon bestenfalls 200.000 aufhalten kann. Den Zuzug nach Deutschland zu bremsen, kann also nur gelingen, wenn die EU-Partner sich solidarisch verhalten. Merkel hofft mehr noch auf die Hilfe der Türkei.