Berlin. Die Politik streitet über das Sexualstrafrecht – nicht erst seit den Kölner Übergriffen. Ein Überblick über die Lage und Forderungen.
Nicht erst nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten ist eine Debatte über eine Reform des Sexualstrafrechts entbrannt. Schon im Sommer 2015 hatte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) einen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Sexualstrafrechts vorgestellt. Es sollte nach dem Willen des Ministers schon im Spätherbst des vergangenen Jahres in Kraft treten. Bislang konnte sich die Regierungskoalition jedoch nicht einigen.
Der Gesetzentwurf ist nun aber laut Maas seit kurzem in der Länderabstimmung und könnte nach seinen Worten noch in diesem Jahr vom Bundestag verabschiedet werden. Schutzlücken im Sexualstrafrecht müssten geschlossen werden, sagte er der „Bild am Sonntag“.
Aber was fordern die Parteien genau – und wie gut sind Opfer sexueller Gewalt bisher geschützt? Ein Überblick.
Was wird bemängelt?
Das aktuelle Sexualstrafrecht lasse Schutzlücken zulasten der Opfer offen, lautet die Kritik. Der Tatbestand der Vergewaltigung werde bisher zu eng beschrieben. So gilt nach Paragraf 177 (Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) des Strafgesetzbuches derzeit ein Geschlechtsverkehr oder das Eindringen in den Körpers des Opfers nur unter drei Bedingungen als Vergewaltigung: Wenn die sexuelle Handlung mit Gewalt erzwungen wurde, wenn Leib oder Leben des Opfers bedroht würden oder wenn der Täter eine schutzlose Lage seines Opfers ausnutzt. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, liegt demnach kein Straftatbestand vor – auch wenn der Beischlaf gegen den Willen des Opfers geschieht.
Das widerspreche jedoch der Istanbul-Konvention des Europarats aus dem Jahr 2011, so die Kritik. Artikel 36 der Konvention regelt klar, dass „nicht einverständliches, sexuell bestimmtes vaginales, anales oder orales Eindringen in den Körper (...) mit einem Körperteil oder Gegenstand“ sowie „sonstige nicht einverständliche sexuell bestimmte Handlungen“ unter Strafe zu stellen seien.
Zudem können bisher Vergehen wie überraschende Griffe an die Brust oder zwischen die Beine nur schwer als sexuelle Nötigung geahndet werden, etwa weil der Täter sein Opfer so schnell begrapscht, dass es weder Zeit hat, einen entgegenstehenden Willen zu fassen, geschweige denn ihn zu äußern und sich zu wehren. Meist werden solche Taten als Beleidigungen geahndet und bleiben häufig straffrei.
Wer fordert was?
Die Grünen kritisieren insbesondere die Formulierung in Paragraf 177 des Strafgesetzbuches. Von Frauen werde entsprechend gefordert, mehr als nur „Nein“ zu sagen, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Dies müsse sich ändern. „Es muss klar sein: Ein Nein ist ein Nein.“
Justizministern Maas sieht bei seiner Gesetzesänderung vor allem eine Neufassung des Strafgesetzbuch-Paragrafen 179 vor. In der bisherigen Fassung regelt er das Strafmaß bei „Sexuellem Missbrauch widerstandsunfähiger Personen“. Zukünftig soll er mit „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ überschrieben sein und damit erweitert werden.
Demnach soll künftig bestraft werden, wer sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt, die „aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist“, genauso wie an jemandem, der „aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist“ oder im Fall des „Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet“.
Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Eine Frau leistet keinen Widerstand und wehrt sich nicht gegen sexuelle Handlungen, weil der Täter bereits früher gewalttätig geworden war und sie sich vor weiterer Gewalt fürchtet. Während der Täter nach der alten Gesetzfassung höchstens wegen Nötigung belangt werden konnte, könnte er nach dem neuen Entwurf wegen Vergewaltigung bestraft werden. Auch wer grapscht, kann nach den geplanten Neuerungen mit Freiheitsstrafen belangt werden.
Renate Künast, Grünen-Vorsitzende des Rechtsausschusses im Bundestag, hält auch den Entwurf von Justizminister Maas für unzureichend. „Es bleibt im Grunde beim alten Tatbestand, der oftmals zu Freisprüchen führt“, sagte sie. Nötig sei, dass ein eindeutiges Nein zu sexuellen Handlungen als Grenze zur Strafbarkeit genüge.
Warum ist die Gesetzesänderung noch nicht in Kraft?
Den entsprechenden Gesetzentwurf habe der Koalitionspartner der CDU bisher verhindert, kritisieren die Sozialdemokraten. „Während nach Köln nun alle eine Änderung des Sexualstrafrechts fordern, müssen wir sagen: Seit sechs Monaten liegt ein entsprechender Referentenentwurf vor – er wurde aber durch das Bundeskanzleramt blockiert“, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Dirk Wiese unserer Redaktion. Dies hatte auch die Tageszeitung „taz“ am Donnerstag berichtet. Demnach habe das Kanzleramt jedoch erst kurz vor Weihnachten reagiert.
Wie geht es weiter?
Nun liegt die Novellierung den Ländern sowie Verbänden vor, bestätigte ein Sprecher des Justizministerium unserer Redaktion. Im Frühjahr oder frühen Sommer könnte der Entwurf dann im Bundestag abgestimmt werden.
Werden die Ereignisse von Köln etwas ändern?
Die Lücken im Sexualstrafrecht waren bisher ein wenig beachtetes Thema – das könnte sich durch Köln durchaus ändern. Denn wie Teile der SPD und Rechtsexperten kritisieren, wären die Rechte der Frauen mit dem novellierten Gesetz gestärkt gewesen und Vergehen wie das umgangssprachliche „Begrapschen“ hätten strenger bestraft werden können. (mit dpa)