Washington. Rohstoff-Verkauf, Bankraub, Erpressung, Enteignung von Minderheiten – so finanziert sich die Terror-Organisation Islamischer Staat.
Um Nazi-Deutschland zu schwächen, startete Amerika im Zweiten Weltkrieg die Operation „Tidal Wave“. Rumänische Ölfelder unter Kontrolle des Hitler-Regimes wurden dabei zerstört. 75 Jahre später ist „Tidal Wave II“ in vollem Gange. Mit massiven Luftangriffen sabotieren US-Kampfjets seit einigen Tagen Öl-Felder im Osten Syriens. Erst am Sonntag wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums mehr als 100 Tanklastwagen zerstört. Eine der wichtigsten Geld-Quellen des Terror-Netzwerks „Islamischer Staat“ (IS), der für die Attentate in Paris verantwortlich gemacht wird, soll damit nachhaltig trocken gelegt werden.
Experten von Finanzminister Jack Lew schätzen die Einnahmen aus dem Rohstoffverkauf für den IS zuletzt auf rund 500 Millionen Dollar pro Jahr. Nach Erkenntnissen der US-Geheimdienste verkaufen Mittelsmänner das in den besetzten Territorien produzierte Öl sowohl an syrischen Rebellen als auch an das Regime von Diktator Baschar-al-Assad und die Kurden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hatte bereits vor einem Jahr gefordert, Geschäftsleute zu bestrafen, die mit dem IS kooperieren. Ihre Vermögen sollten eingefroren werden.
USA will Öl-Geschäfte der Dschihadisten-Miliz stärker ins Visier nehmen
Seit die USA-geführte Koalition im September 2014 Luftangriffe auf den IS in Syrien und im Irak fliegt, wurden zwar etliche Raffinerien, Leitungen und Kontrollzentren bombardiert. Allerdings räumen Offiziere im Pentagon inoffiziell ein, dass der Erfolg oft nur von kurzer Dauer war: „Manchmal waren die Reparaturen nach wenigen Tagen erledigt und die Produktion lief wieder wie gewohnt.“ Bereits vor den Anschlägen in Paris ordnete Verteidigungsminister Ashton Carter an, die Öl-Geschäfte der expandierenden Dschihadisten-Miliz noch gezielter ins Visier zu nehmen.
Fachleute der Denkfabrik „Center for American Progress“ sind trotzdem skeptisch. Zum einen dränge der stark gesunkene Ölpreis das Thema „etwas in den Hintergrund“, heißt es dort. Zum anderen sprudelten andere Einnahmequellen des IS wie Bankraub, illegale Besteuerung, Zölle, Erpressung und Lösegeld nach Geiselnahme nach wie vor.
Adam Szubin, Sekretär für Terrorismusfragen im Finanzministerium in Washington, gewährte vor kurzem in einer Kongressanhörung einen Einblick in die ausgeklügelte organisierte Kriminalität des IS. Die Fähigkeiten des Netzwerks, sich in seinem großen Territorium weitgehend selbst zu finanzieren, seien „breit gefächert“ und mit der Geldbeschaffung von Osama Bin Laden inspirierten Terror-Gruppe Al Kaida nicht zu vergleichen, sagte Szubin. „Das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Der IS operiert weitgehend außerhalb des globalen Finanzsystems.“ Terror-Sponsoren, zu denen laut Vereinten Nationen unter anderem Saudi-Arabien und der Iran gehören, benötige der „Islamische Staat“ anders als Al Kaida nicht.
Der IS konfisziert Löhne und enteignet Wohneigentümer
Stattdessen verlegt sich das aus dem syrischen Rakka gesteuerte Netzwerk auf Methoden, die feudalistische Züge tragen. Wie der Terrorexperte Aymenn Jawad al-Tamimi anhand von Dokumenten des Finanzministeriums der ostsyrischen IS-Provinz Deir al-Zur nachwies, bestreitet das selbst ernannte Kalifat sein Jahresbudget dort zur Hälfte durch die Enteignung von Wohneigentümern (vorzugsweise christlicher Minderheiten) und die Konfiszierung von Löhnen und Wertsachen wie Autos und Nutztiere. Selbst für die Freigabe von Leichnamen im Bürgerkrieg müssten Angehörige hohe Summen entrichten.
Mit dem Wissen um über 10.000 archäologische Grabungsstätten in seinem Gebiet erwirtschaftet der IS auch mit Antiquitäten Millionensummen. Nach Angaben des FBI lizenzieren die Terror-Kommandanten dabei kriminelle Banden, die auf Ausgrabungen von Artefakten spezialisiert sind. Später landen die Kostbarkeiten auf Kunstmärkten in Europa oder Asien.
Dass der Geldzufluss nicht versiegt, ist nach Ansicht der US-Regierung für den IS „überlebensnotwendig“. Terror-Experten im Finanzministerium haben ermittelt, dass allein die auf bis zu 30.000 Kämpfer taxierte IS-Miliz Sold in Höhe von jährlich 360 Millionen Dollar verschlingt. Wer den IS bezwingen will, so ein Finanzfachmann, „der muss ihm den Geldhahn abdrehen“.